1. Einleitung

In der kurzen Zeitspanne vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Jahre 1917 überschlugen sich in Russland die Ereignisse von historischer Bedeutung. Es kam  zu zwei Kriegen und Revolutionen. Premierminister Petr Stolypin führte Agrarreformen durch, die das Gesicht der Dörfer veränderten. Politische Parteien entstanden, es kam zu Massenbewegungen innerhalb der städtischen und ländlichen Bevölkerung und zu einer gewissen Demokratisierung der lokalen Selbstverwaltung. Als ob dies allein nicht schon genug wäre, vollzogen sich all diese tief greifenden Erschütterungen vor dem Hintergrund der industriellen Revolution in Russland. Diese Umwälzung hatte einen radikalen Wandel der Produktivkräfte in Stadt und Land sowie soziale Verwerfungen in allen Bereichen der Gesellschaft einschließlich einer Krise des Herrschaftssystems zur Folge. Von diesen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Veränderungen war auch das Wolgagebiet, insbesondere das Gouvernement Saratov, betroffen.

 

Anfang des 20. Jahrhunderts war die ethnische Zusammensetzung des Gouvernements Saratov recht vielfältig. Dabei stellten die Russen in allen Kreisen die große Mehrheit. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung lag den Daten der ersten Volkszählung von 1897 zufolge bei 76,7 Prozent und in den Städten sogar bei 91,1 Prozent. Die zahlenmäßig zweitgrößte Gruppe bildeten mit einem Anteil von 6,9 Prozent die Wolgadeutschen. Innerhalb der Grenzen des Gouvernements Saratov konzentrierte sich die deutsche Bevölkerung auf acht Amtsbezirke des Kreises Kamyšin und auf relativ kleine Gruppen im südlichen Teil des Kreises Atkarsk (Amtsbezirk Medvedickaja) sowie im Kreis Saratov (Amtsbezirk Jagodnaja Poljana). Insgesamt lebten vor dem Ersten Weltkrieg an beiden Ufern der Wolga nördlich und südlich der Großstadt Saratov mehr als 500.000 Deutsche in rund 200 Kolonien. Seit ...

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