Wer war Klaus Scheel?* Schon ein kursorischer Blick auf den Lebensweg des bedeutendsten estländischen Bankiers der Zwischenkriegszeit bietet ganz unterschiedliche Antworten auf diese Frage. Scheel war Handelspartner Sowjetrusslands ebenso wie der Weimarer Republik und Nazi-Deutschlands. Er galt als Bankier der estländischen Deutschbalten, war gleichzeitig aber eine wichtige Stütze des estnischen Staates. Er bot den deutschbaltischen Kultureinrichtungen des Landes wesentliche Unterstützung, war aber in vielfältiger Weise auch in die estnische Mehrheitsgesellschaft integriert. So ist der Mann, der sich fließend in sieben Sprachen verständigen konnte, das typische Beispiel eines Akteurs mit vielen Zugehörigkeiten, wie ihn die Moderne immer wieder hervorgebracht hat. Sich Scheels Biografie über die Frage nach seiner „eigentlichen“ Identität anzunähern, erscheint daher als fragwürdiges Unterfangen. Der Biograf läuft Gefahr, entweder durch einseitige Vorgaben bereits eine bestimmte Identität als wesentlich vorauszusetzen, oder umgekehrt so viele gleichwertige Identitäten zuzulassen, dass der Begriff seinen Sinn verliert.1 Gleichwohl ist jede Biografie gleichzeitig immer auch die Geschichte einer Generation, und nicht selten jene eines oder mehrerer Staaten, einer Region oder einer ethnischen Gruppe, die sich mit dem persönlichen Lebenslauf kreuzen, ohne dass er in ihr aufginge. Scheel war kein Mann ohne Zugehörigkeit, sondern hatte an vielen Gemeinschaften teil.

Dass Scheel aus einer Zeit und Region lebte, die durch ständigen Wandel charakterisiert waren, forderte von ihm – wie von seinen Zeitgenossen – eine häufige Anpassung an neue Gegebenheiten. Der 1890 im Russländischen Gouvernement Estland geborene Scheel erlebte den

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