1.  Einleitung

„Eine kaum glaubhafte Abenteuergeschichte ist mein Leben, über einen Mönch, der seine Kräfte mit dem Teufel maß“, schrieb der lettische Historiker Arveds Švābe 1945 rückblickend in einem Gedicht, überschrieben „Für den Sohn“. Švābes Leben mutet tatsächlich abenteuerlich an, war aber, von wenigen dramatischen Episoden abgesehen, nicht untypisch für einen nordosteuropäischen Intellektuellen zwischen Russischem Zarenreich, nationaler Unabhängigkeit und westlichem Exil. Viele teilten sein Schicksal, wurden in armen Verhältnissen geboren, strebten nach Bildung, nahmen an der Revolution von 1905 teil, begaben sich im Ersten Weltkrieg auf die Flucht, kehrten in unabhängige Nationalstaaten zurück, beteiligten sich prominent an deren Aufbau und machten Karriere, erlebten den dramatischen Untergang ihrer Länder und wurden gegen Ende des Zweiten Weltkrieges erneut zur Flucht gezwungen, um im Exil fernab einer im Kalten Krieg unerreichbaren Heimat zu sterben.

Arveds Švābe, 1888 im Gouvernement Livland geboren und 1959 in Stockholm verstorben, gilt in Lettland und im Umfeld der baltischen Geschichte als führender Historiker, der die lettische Geschichtswissenschaft der 1920er bis 1960er Jahre maßgeblich prägte und sie bis heute beeinflusst. Daneben wurde er als Lehrer, Schriftsteller, Folklorist, Politiker, Rechtshistoriker, Enzyklopädist und Mitglied der lettischen Literatur-, Theater- und Kunstszene bekannt und zählt zu den herausragenden und gut vernetzten Vertretern der jungen lettischen Wissenschafts- und Kulturelite der Zwischenkriegszeit. Nach 1945 versuchte er unter den Beschränkungen des westlichen Exils, diese Rollen im sogenannten Kleinen Lettland in Deutschland und Schweden weiter auszufüllen. ...

Zur Abhandlung