Über zwei Millionen Militärangehörige der Mittelmächte wurden während des Ersten Weltkriegs von der russischen Armee gefangen genommen. Diese Kriegsgefangenen kamen aus verschiedenen Ländern, hatten unterschiedliche Nationalitäten und militärische Ränge – Faktoren, die ihre Behandlung durch den Gewahrsamsstaat definierten. Weit weniger ist jedoch darüber bekannt, wie die zivile Identität der Männer und insbesondere der Beruf ihre Erfahrung der Kriegsgefangenschaft beeinflussten.

Das gegenwärtige Projekt rückt bildende Künstler in den Fokus, um nach ihren Handlungsspielräumen in der sibirischen Gefangenschaft zu fragen. Betrachtet wird nicht nur ihre Tätigkeit innerhalb, sondern auch außerhalb der Unterbringungslager. Ein besonderes Augenmerk liegt auf ihren sozialen sowie beruflichen Möglichkeiten außerhalb der Lagergemeinschaft und ihrer Situierung in den (geo-)politischen Ereignissen, die den Alltag in Russland maßgeblich prägten. Vier Standorte – Tomsk, Berësowka, Krasnojarsk, Wladiwostok – dienen als case studies, um auszuloten, inwiefern das lokale Umfeld (die Infrastruktur der Lagergemeinschaft, eine ausgeprägte lokale Kunstszene oder einzelne Akteure als Vermittler) ihre Arbeit und Möglichkeiten beeinflussten. Der Fokus auf transnationale Verbindungen rückt die interkulturelle Erfahrung der Kriegsgefangenschaft in den Vordergrund und untersucht wie Stereotype und Feindbilder Nahbeziehungen beeinflussten und vice versa.

Die Arbeit, die neben Archiv- und Egodokumenten auch auf zeitgenössischen Presseberichten und materiellen Artefakten basiert, erweitert somit nicht nur den Blick der Kriegsgefangenenforschung. Sie leistet einen Beitrag zur Kunst- und Kulturgeschichte Sibiriens und eröffnet neue Blickwinkel zur Situation von Ausländern in Russland zur Zeit des Welt- und Bürgerkriegs.

Die Dissertation entsteht an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Fach Osteuropäische Geschichte, Erstbetreuer ist Prof. Dr. Dietmar Neutatz.