Die kolorierte Ansichtspostkarte vom Rigaschen Strand wurde im Juli 1914 als postalischer Feriengruß in das russische Gouvernement Tiflis versendet. Zahlreiche unterschiedliche Aufnahmen zeugen davon, dass der Ostseestrand ein überaus beliebtes Postkartenmotiv darstellte.

Die Erkenntnis von der heilenden Wirkung des Ostseeklimas beförderte seit Anfang des 19. Jahrhunderts das Aufkommen der Badekultur. Das zunächst nur von deutschbaltischen und russischen Adeligen genutzte Ostseebad im Westen des Russischen Reiches wurde alsbald in den Sommermonaten zu einer Freizeitangelegenheit für alle.

Der Rigaer Strand bot sich als Destination an, denn er war infrastrukturell erschlossen und mit der Bahn oder Schifffahrt von Riga aus gut erreichbar. Den Strandabschnitt säumten mehrere Orte, die den Sommergästen zur Auswahl standen.

Das Motiv des Rigaer Strandes bediente verschiedenste Interessengruppen. Wie auch in der angezeigten Postkarte zeugen die Darstellungen von den Freizeit-, Vergnügungs- sowie den gesundheitlichen Reizen des Ostseestrandes: Der weite Strand mit seinem feinen, weißen Sand, der zum Buddeln oder auch einfach zum Ruhen anregt, das Meer mit seinem kaum erkennbaren Wellengang, das für nicht schwimmerprobte Badende ideal wirkt, sowie der Himmel mit seinen Schönwetterwolken, der auf ein angenehmes, da weder stürmisches noch heißes Seeklima schließen lässt.

Inmitten der Naturdarstellung dominiert die Badekultur: Badekörbe direkt im Sand, das auf einem Badesteg vorgelagerte Badehaus mit seinen Umkleidekabinen. Die Darstellung zielt auf eine Infrastruktur ab, die sowohl das abgeschirmte und somit ungestörte Baden im Meer als auch das direkte Bad am Strand erlaubte. Inwieweit diese Bauten und die Behelfsmittel genutzt wurden, wird in der Szene nicht ersichtlich. Badende werden nicht präsentiert. Die einzig sichtbaren Gäste sind Frauen und Kinder, die sich im Sand entspannen oder buddelnd beschäftigen.

Warum Männer nicht in die Bildkomposition mit einbezogen wurden, lässt sich anhand der zeitgenössischen Baderegularien erklären, worin die Nutzung von Stränden in Riga bis Ende des Ersten Weltkrieges in „Herren- und Damen-Badestunden“ festgelegt wurde. Die Strandkörbe, eine Mode, die seit den 1880er Jahren an der Ostsee Einzug hielt und die den Vorteil der gemeinsamen Nutzung bot, deuten bereits auf eine Lockerung der Regularien hin zu einem Familienbad. Die fotografische Aufnahme der „Damen-Badestunde“ erfolgte sicher nicht ohne Grund: Zur Betonung der Attraktivität des Rigaschen Strandes wurde gezielt das familienfreundliche Ambiente beworben. Aus diesem Grunde war es darüber hinaus klug, auf eine Darstellung von Badenden zu verzichten. Der Rigasche Strand sollte als Urlaubsdestination moralisch unbedenklich präsentiert werden.