Als Ende der 1990er Jahre in Kyïv die Entscheidung über die Vorbereitung einer neuen Enzyklopädie der Geschichte der Ukraine getroffen wurde, war es kaum abzusehen, von welchen dramatischen und weitreichenden politischen Auseinandersetzungen in und um die Ukraine die Veröffentlichung dieses mehrbändigen Nachschlagewerks (zehn Hauptbände 2003–2013 erschienen, zwei Sonderbände 2018 und 2019 sowie der erste Zusatzband 2021) begleitet wird. Vor dem Hintergrund einer aggressiven Ukraine-Politik der Russländischen Föderation sah die Redaktion der Enzyklopädie immer mehr als ihre zentrale Aufgabe an, gegen imperiale Vergangenheitsvorstellungen sowie gegen schlichte Geschichtsverdrehungen entgegenzuwirken.
Es war daher nur folgerichtig, dass der erste Zusatzband (2021) zum großen Teil dem Krieg Russlands gegen die Ukraine seit dem Frühjahr 2014 gewidmet wurde. Eine zentrale Stellung in diesem Band nimmt der Artikel des ukrainischen Historikers Volodymyr V. Holovko über die Geschichte der bewaffneten Aggression der Russländischen Föderation gegen die Ukraine von der Krim-Annexion 2014 bis 2021 ein. Neben einer systematischen Darstellung wichtigster Ereignisse bietet dieser Artikel auch eine Periodisierung der Aggression an, arbeitet die Ziele der russländischen Ukraine-Politik sowie die Reaktion des ukrainischen Staates und der Gesellschaft auf die brutale Einmischung des Nachbarlandes heraus. In seinem Beitrag stützt sich Holovko sowohl auf eigene als auch auf Forschungsergebnisse ukrainischer Historiker und Sozialwissenschaftler seit 2014. Der Artikel macht deutlich, wie noch vor dem großangelegten Angriff im Februar 2022 der Krieg in der ukrainischen Geschichtsforschung interpretiert wurde und wird zweifelsohne für diejenigen interessant sein, die sich für die Geschichte und Gegenwart Osteuropas interessieren und die Debatte über die Zukunft dieses Forschungsbereiches verfolgen bzw. sich an dieser beteiligen.
Für die freundliche Abdruckgenehmigung und für die Bereitstellung des Fotos bedanken wir uns bei der Redaktion der Enzyklopädie (Prof. Dr. Valerij A. Smolij, Prof. Dr. Hennadij V. Borjak), bei dem Verfasser Volodymyr V. Holovko sowie bei dem Verlag „Naukova Dumka“ (Kyïv, Ukraine).