Die Umsiedlung der Deutschbalten aus Estland und Lettland 1939‒1941 in der lettischen Geschichtswissenschaft und
historischen Publizistik
Text 1: Inesis Feldmanis: Vācbaltiešu izceļošana no Latvijas (1939–1941)
[Die Ausreise der Deutschbalten aus Lettland (1939–1941)], Rīga: LU Akadēmiskais apgads 2012 (Latvijas vēstures mazā bibliotēka [Lettlands Kleine Geschichtsbibiothek]), in Auszügen, hier: S. 4-8, 34-39 und 46-54.
Text 2: Jānis Urbanovičs, Igors Jurgens, Juris Paiders: 1939. gads. Baltvāciešu repatriācija
[Das Jahr 1939. Die Repatriierung der Baltendeutschen], in: Dies.: Nākotnes melnraksti. Latvija 1939–1941 [Zukunftsentwürfe. Lettland 1939–1941], Rīga: Baltijas Forums (2011), in Auszügen, hier S. 183-190.
Text 3: Silvija Ģibiete, Lāsma Ģibiete: Uz mūžu zaudētā dzimtene. Vācbaltiešu piespiedu izceļošana no Latvijas 1939‒1941
[Die auf ewig verlorene Heimat. Die Zwangsumsiedlung der Deutschbalten aus Lettland 1939‒1941], in: Latvietis, Nr. 177 v. 7. Dezember 2011.
Auch mehr als 70 Jahre nach den Ereignissen des Herbst und Winter 1939/40 ist die Diskussion unter Letten über die historische Einordnung, die Ursachen, den Verlauf und die Folgen der Umsiedlung der Deutschbalten aus Lettland (und Estland) umstritten. Diskutiert werden vor allem das deutsch-lettische Verhältnis, das den Geschehnissen voraus ging, der Anteil der lettischen Politik an dem ersten großen Bevölkerungsverlust zu Beginn des Zweiten Weltkrieges und die Verknüpfung der Umsiedlung mit den folgenden Entwicklungen unter sowjetischer und deutscher Besatzung. Auch die Frage des Stellenwerts des deutschbaltischen kulturellen Erbes wird angesprochen. An dieser Stelle werden drei jüngere lettische Texte aus Geschichtswissenschaft, öffentlicher Geschichtsdiskussion und Exilpublizistik vorgestellt, in denen die Umsiedlung der Deutschbalten aus unterschiedlicher Perspektive beleuchtet und in gewisser Weise die öffentliche Erinnerung zum Thema repräsentieren.
Wir bedanken uns für die freundliche Abdruckgenehmigungen der Beiträge bei den Verfassern Inesis Feldmanis, Jānis Urbanovičs, Igors Jurgens, Juris Paiders, Silvija und Lāsma Ģibiete, bei dem Verlag LU Akadēmiskais apgads und dem Herausgeber Baltijas Forums in Rīga sowie bei der Zeitschrift Latvietis in South Yarra, Australien.
Einleitende Bemerkungen
Die so genannte „Umsiedlung der Deutschbalten“ aus Estland und Lettland, sechs Wochen nach Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes von Adolf Hitler in seiner Rede im Deutschen Reichstag vom 6. Oktober 1939 bekanntgegeben und bereits am folgenden Tag in der Rigaschen Rundschau angekündigt,[1] bildete den Auftakt der nationalsozialistischen Umsiedlungsaktionen zu Beginn und während des Zweiten Weltkrieges. Ursachen, Verlauf und Folgen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur unter Deutschbalten im Westen,[2] sondern als Teil der Geschichte Estlands und Lettlands auch von estnischen und lettischen Historikern kontrovers diskutiert, insbesondere im Rahmen der Um- und Neubewertung der baltischen Geschichte und der Rolle der Deutschbalten nach 1990.
Bereits zeitgenössisch, unmittelbar in den Tagen der Umsiedlung, hatten Meinungsverschiedenheiten in der Beurteilung der Deutschbalten und von deren „Ausreise“ zwischen dem lettischen Diktator Kārlis Ulmanis und dem Redakteur der Zeitschrift „Sējējs“, Jānis Lapiņš, zur Entlassung des letzteren durch den lettischen Diktator geführt.[3] Lapiņš hatte versucht, die historische Rolle der Deutschbalten trotz aller deutsch-lettischer Konflikte positiv zu grundieren und das deutschbaltische geschichtliche Erbe als bewahrenswert zu empfehlen. Ulmanis’ Sprachrohr, die Tageszeitung „Brīva Zeme“ [„Freies Land“], hatte daraufhin noch einmal die negativen Einflüsse der Deutschbalten in der Geschichte des Landes betont und die Umsiedlung der Deutschen aus Lettland als historisch zwingend unterstrichen.[4]
Heute wird mit zeitlichem Abstand in den baltischen Staaten der Bevölkerungsverlust von etwa 3,2 Prozent der Bevölkerung Lettlands und 1,6 Prozent der Bevölkerung Estlands, den die Umsiedlungsaktion innerhalb nur weniger Wochen bedeutete, gelassener beurteilt, in die historischen Zusammenhänge jener Jahre eingeordnet und als kulturell-materieller Verlust und Teil der Gewalt- und Agressionspolitik der umgebenden deutschen und sowjetischen Diktaturen interpretiert. Dennoch gibt es Nuancen, wie aus den folgenden Texten zu ersehen ist:
Der erste Text, Auszüge aus einer Monografie, stammt von Inesis Feldmanis, führender Zeithistoriker und Lehrstuhlinhaber für Neue und Neuere Geschichte an der Universität Lettlands, Vorsitzender der Historikerkommission Lettlands beim Staatspräsidenten und Korrespondierendes Mitglied der Baltischen Historischen Kommission. Feldmanis untersucht die Ursachen und außenpolitischen Rahmenbedingungen der Umsiedlung, deren Vorbereitung und Durchführung sowie die Fragen der persönlichen Motive und der Eigentumsliquidierung der Umsiedler. In einem zweiten Kapitel skizziert er die so genannte Nachumsiedlung vom Frühjahr 1941, als Lettland bereits sowjetisch annektiert war.
Die Darstellung von Feldmanis bietet zwar inhaltlich und methodisch nur wenig neue Erkenntnisse, sie repräsentiert aber den aktuellen Stand der akademischen lettischen Geschichtswissenschaft zum Thema „Umsiedlung der Deutschbalten“ aus Lettland. Vor- und Nachwort enthalten darüber hinaus historiografiekritische Anmerkungen zum Thema.
Feldmanis benutzt für „Umsiedlung“ fast durchgehend den lettischen Begriff „izceļošana“, der präzise mit „Ausreise“ wiedergeben werden müsste. Er trifft damit nicht ganz die Bedeutung von „Umsiedlung“, die auch eine passive, unfreiwillige Konnotation beinhalten kann. Immerhin vermeidet er den älteren, noch aus der Sowjetzeit stammenden Begriff der „repatriācija“ („Repatriierung“), der gegenwärtig in lettischen Publikationen und Diskussionen seltener anzutreffen ist, da die Einsicht Platz gegriffen hat, dass die umgesiedelten Deutschen eben doch Staatsangehörige der Republik mit einer langjährigen historischen Bindung zum Land gewesen seien (vgl. auch Anm. 4 des Textes von Feldmanis).
Ein Beispiel für die anhaltende Benutzung des Begriffs „Repatriierung“ und der von den Nationalsozialisten verwendeten propagandistischen Bezeichnung „Baltendeutsche“ anstelle der in baltischen zeitgenössischen Quellen geläufigen „Deutschbalten“ ist der zweite Text der in Lettland als Euroskeptiker und moskauorientiert bekannten Politiker und Journalisten Jānis Urbanovičs, Igors Jurgens und Juris Paider. Sie stellen in einer fiktiven Diskussionsrunde die Umsiedlung der Deutschbalten aus Lettland in den Kontext aktueller lettischer Diskussionen um das „richtige“ Geschichtsbild vom Zweiten Weltkrieg in der baltischen Region. Die Umsiedlung der Deutschbalten wird weniger als Folge der Politik Hitlers und Stalins als vielmehr als Resultat einer verfehlten lettischen Minderheitenpolitik dargestellt. Selbst für die Auswirkungen der späteren sowjetischen Besatzungspolitik wird die Politik von Ulmanis verantwortlich gemacht („Im Prinzip bereitete Ulmanis die Gesellschaft darauf vor, es als normal zu akzeptieren, dass eine Klasse liquidiert wird“). Die Umsiedlung wird mit der Gewaltpolitik der Nationalsozialisten und Stalins verknüpft. Im Subtext wird sogar ein aktueller Bezug zur gegenwärtigen Minderheitenpolitik Lettlands suggeriert: Das, was den Deutschbalten damals geschah, könne in einer Krisensituation heute auch der so genannten russischsprechenden Minderheit im Baltikum wieder geschehen. Die Argumentation wird mit einer subjektiven Auswahl von zeitgenössischen Dokumenten und Zeitungsartikeln nach dem Vorbild früherer sowjetischer Dokumentationen gestützt. Herausgeber ist der russlandorientierte und aus Russland finanzierte Think Tank „Baltijskij Forum“ (www.balticforum.org), dessen maßgebliche Mitarbeiter Jurgens und Paiders sind, und zu dessen Mitgliedern und Vortragenden eine Zeit lang auch der in der deutschen Presse zu den „Putin-Verstehern“ gezählte Alexander Rahr gehörte.
Der dritte Text schließlich stammt aus dem lettischen Exil, von den in Australien lebenden Autorinnen Silvija und Lāsma Ģibiete, und wurde zunächst in ungarischer Sprache veröffentlicht. Die Übersetzung folgt der lettischen Veröffentlichung von Auszügen in der exillettischen-Onlinezeitschrift Latvietis[5] und repräsentiert die nachdenklich-nostalgische Sicht aus der zeitlichen und räumlichen Distanz des lettischen Exils in Übersee und die kulturelle Erinnerung, die das Wissen innerhalb der lettischen Gesellschaft über die Vorkommnisse 1939‒1941 und das lettisch-deutsche Verhältnis bis heute prägt. Darüber hinaus geben die beiden Autorinnen einen kurzen Einblick in die kulturelle Verarbeitung des Themas in der lettischen Literatur und im Film.
Text 1:
Die Ausreise der Deutschbalten aus Lettland (1939–1941)*
Einleitung
Bereits seit Jahrzehnten erforschen lettische Historiker mehr oder weniger intensiv die Jahrhunderte alte Geschichte der Deutschbalten. In beinahe allen Entwicklungsphasen der lettischen Historiografie ist das Grundziel dieser Forschungen unverändert geblieben, nämlich die Rolle und die Bedeutung der Deutschbalten in den verschiedenen Epochen der Geschichte des Baltikums zu bestimmen. Ungeachtet der Mühen und Erfolge vieler Forscher ist es immer noch nicht gelungen, eine einwandfrei objektive sowie wirklich wissenschaftlich argumentierende und korrekte Antwort auf diese große Frage der Geschichte des Baltikums zu geben.[1]
Diese Situation, die sich mit jedem Jahr zum Positiven verändert, ist durch mehrere objektive Umstände bedingt. Schon die Vielzahl der Ereignisse und Fakten selbst sowie auch ihre Verschiedenartigkeit erschweren häufig eine einheitliche Wahrnehmung des historischen Gesamtbildes und lassen unterschiedliche Interpretationen und Bewertungsmöglichkeiten zu. Des Weiteren existierten in Lettland eine geraume Zeit lang diverse Vorurteile gegenüber den Deutschbalten. Sowohl in der Zwischenkriegs- als auch in der Sowjetzeit wurden sie als Fremdlinge in Vergangenheit und Gegenwart wahrgenommen. Erst in den letzten 22 bis 23 Jahren hat sich die Situation spürbar verändert. In jedem Fall dominiert heute im historischen Gedächtnis des lettischen Volkes ganz gewiss keine gegen die Deutschbalten gerichtete Stimmung mehr, und faktisch ist die einst so deutlich artikulierte kollektive Erinnerung an deren fiktive oder reale Unrechtstaten in der Geschichte verschwunden.
Das besondere Augenmerk der lettischen[2] und deutschen Historiker galt der deutschbaltischen[3] Umsiedlung[4], die in den Jahren des Zweiten Weltkriegs eine von vielen Umsiedlungsaktionen in mehreren europäischen Staaten lebender Deutschen[5] war. Viele deutsche „Volksgruppen“ verließen das Land, in dem sie lebten, und kehrten nach Jahrhunderten, die sie in ihrer Heimat verbracht hatten, nach Deutschland zurück.[6] Laut Statistik reisten von 1939 bis 1944 insgesamt 770 577 Auslandsdeutsche nach Deutschland ein,[7] die selbstverständlich nur einen kleinen Teil der in anderen Staaten lebenden Deutschen bildeten. Den größeren Teil der Umsiedler siedelte man in den im Herbst 1939 annektierten westlichen Gebieten Polens an. Sie sollten sozusagen einen erweiterten deutschen Staat festigen, da Berlin zur Erfüllung dieser Aufgabe nicht über ausreichend Menschen verfügte. Die Historiker sprechen in diesem Zusammenhang nicht selten auch von einer Vereinigung des deutschen Volkes.
Die Umsiedlung der Auslandsdeutschen ‒ dieses eigenartige Phänomen ‒ regelten verschiedene Übereinkünfte. In mehreren Fällen fiel dem vertraulichen Umsiedlungsprotokoll, das die Sowjetunion und Nazideutschland nach ihrer gemeinsamen militärischen Zerschlagung Polens am 28. September 1939 beschlossen hatten, besondere Bedeutung zu. Entsprechend den von beiden Seiten geschlossenen Vereinbarungen über die Aufteilung Osteuropas wurde in diesem Protokoll festgelegt,[8] dass die UdSSR keine Hindernisse in den Weg legen würde, wenn deutsche Bürger oder auch andere Personen deutscher Abstammung, die in den zu ihrer Interessensphäre gehörenden Territorien lebten, den Wunsch, nach Deutschland überzusiedeln, äußern würden. Sie erklärte sich mit der Regelung einverstanden, dass bei der Übersiedlung das Eigentum der Ausreisenden nicht angetastet werden würde. Entsprechende Verpflichtungen übernahm die deutsche Regierung auch hinsichtlich der „in ihren Interessensgebieten“ lebenden Personen ukrainischer und weißrussischer Abstammung.
Berlin unterzeichnete mit jedem einzelnen Staat, in dem Deutsche lebten, die man umzusiedeln beschlossen hatte, ebenfalls einen bilateralen Vertrag. So schloss Deutschland beispielsweise 1939 eine solche Vereinbarung mit Estland (15. Oktober), mit Italien über die Ausreise der in Südtirol ansässigen Deutschen (21. Oktober), mit Lettland (30. Oktober) und mit der Sowjetunion über die Umsiedlung der Deutschen aus Wolhynien, Galizien und dem Narew-Gebiet (3. November) ab.
Im darauffolgenden Jahr, 1940, unterschrieb Deutschland drei weitere Verträge: mit Ungarn (29. Mai), mit der Sowjetunion über die Umsiedlung der Deutschen aus Bessarabien und der Nordbukowina (5. September) und mit Rumänien über die Ausreise der in der Südbukowina und in der Dobrudscha lebenden Deutschen (22. Oktober). Am 10. Januar 1941 wurde eine Vereinbarung zwischen der Sowjetunion und Deutschland geschlossen, die eine Beendigung der Übersiedlung der Deutschbalten aus Lettland und Estland nach Deutschland vorsah und die Ausreise der Litauendeutschen regelte. Am 31. August desselben Jahres unterzeichnete Berlin einen Vertrag mit Italien über die „Heimkehr ins Reich“ der in Slowenien lebenden Deutschen. Schließlich wurden 1942 und 1943 die Umsiedlungsverträge mit Bulgarien und Kroatien geschlossen.[9]
Es ist also ersichtlich, dass die Abreise der Deutschen Lettlands faktisch in mehreren Etappen erfolgte, die zusammen einen einheitlichen Umsiedlungsprozess bildeten, der mit Unterbrechungen beinahe anderthalb Jahre lang in Anspruch nahm – vom Herbst 1939 bis zum Frühling 1941. In der historischen Literatur sind zwei Sichtweisen zur Periodisierung der Umsiedlung vertreten. So teilt beispielsweise der deutsche Historiker deutschbaltischer Herkunft Jürgen von Hehn die Abreise der Lettlanddeutschen in drei Perioden ein. Die erste Periode, die Umsiedlung, umfasste den Zeitraum Oktober bis Dezember 1939, die zweite, die erste Nachumsiedlung, den Frühling 1940, und die dritte, die Nachumsiedlung im Winter 1941, dauerte vom 10. Januar bis zum 25. März 1941.[10]
Logischer wäre es, nur von zwei Umsiedlungsaktionen zu sprechen, da sowohl die Umsiedlung der örtlichen Deutschen im Herbst 1939 als auch die im Frühling 1940 auf der gleichen juristischen Grundlage, dem am 30. Oktober 1939 zwischen Lettland und Deutschland geschlossenen Vertrag, stattfanden. Außerdem verließ Lettland im Frühjahr 1940 nur eine im Vergleich verschwindend geringe Zahl von Deutschbalten, nur etwas mehr als 500 Personen.[11]
Die Aufgabe des Verfassers ist es nicht, alle Themen zu betrachten, die auf irgendeine Weise mit den Aktionen zur Umsiedlung der Deutschbalten in der Anfangsphase des Zweiten Weltkriegs in Verbindung stehen. Diese kleine Broschüre kann das auf keinen Fall leisten. Faktisch wird nur die Ansiedlung der Umsiedler an ihren neuen Wohnorten erwähnt. Vor dem historischen Hintergrund wird das Hauptaugenmerk den Fragen gewidmet, die in direkter und enger Verbindung mit der Geschichte Lettlands dem Schicksal des Staates Lettland sowie den Veränderungen seiner historisch gewachsenen nationalen Zusammensetzung stehen. Probleme, die bis zum Schluss noch nicht restlos geklärt sind, und strittige Fragen werden in den Vordergrund gestellt. Der Verfasser ist fest davon überzeugt, dass das zur Erörterung stehende Thema ein großartiges Exempel dafür ist, welch negative Folgen es für einen Staat und seine Bürger haben kann, wenn sich fremde aggressiv gestimmte Großmächte gewalttätig und brutal in den natürlichen Verlauf seiner Geschichte einmischen.
I. Der Verlauf der Umsiedlung in den Jahren 1939 und 1940
1. Die Deutschbalten am Vorabend der Umsiedlung
Die Anfänge der Geschichte der Deutschbalten in Lettland datieren um das Jahr 1200 herum. Bedingt waren sie Nachkommen derjenigen deutschen Ritter, die als Krieger, Kolonisatoren und Missionare ins Baltikum gekommen waren. Die Deutschbalten wurden jedoch im Laufe der Jahrhunderte zu einer speziellen örtlichen Erscheinung. Sie hatten ihre eigene Kultur und Mentalität, die sich auf der lokalen Grundlage gebildet und auch Elemente der russischen, schwedischen und polnischen Kultur integriert hatten. Die Deutschbalten absorbierten eine recht große Anzahl der autochthonen Letten, Liven und Esten. Nach Berechnungen des deutschen Autors Wilhelm Lenz war die lettische und estnische Komponente unter den Deutschbalten quantitativ auf 10 Prozent einzuschätzen.[12]
Nicht zu leugnen ist die Tatsache, dass die Deutschbalten ein besonders wichtiger Faktor waren, der wesentlich, aber verschiedenartig die Richtung und Entwicklung des historischen Prozesses in Lettland beeinflusste. Einerseits gestalteten gerade sie die allgemeine Kultursituation und setzten ein enormes, auch für die einheimische lettische Bevölkerung sehr bedeutsames Kulturschaffen in Gang. Heutzutage sehen viele lettische Historiker in ihnen nicht nur die Unterdrücker des lettischen Volkes, sondern auch die Träger von Kultur und Zivilisation. Bis zum 20. Jahrhundert schufen Gutsbesitzer, Städter, Pfarrer, Ärzte, Apotheker, Lehrer, Händler und Handwerker deutschbaltischer Herkunft in Lettland eine Kulturwelt von europäischem Niveau, in die sich einzufügen und zu integrieren auch viele Letten strebten.[13] Auch in der Zwischenkriegszeit waren die Deutschbalten die reale Verbindung, die Lettland mit Westeuropa vereinigte.
Andererseits bremsten die Deutschbalten, die mehrere Jahrhunderte lang die politisch, wirtschaftlich und sozial bestimmende Schicht gewesen waren, nicht selten den heranreifenden Verlauf der sozialökonomischen und in späteren historischen Perioden auch nationalpolitischen Prozesse. In den Beziehungen zwischen Letten und Deutschen dominierten häufig Konfrontation, beiderseitiges Unverständnis und Intoleranz. Sehr deutlich ist das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu beobachten, in der Zeit des lettischen und estnischen nationalen Erwachens und der darauf folgenden Russifizierung; während der Revolution von 1905 verwandelte sich die Konfrontation zwischen deutschen Gutsbesitzern und lettischen Bauern jedoch bereits in einen offenen bewaffneten Kampf. Hauptsächlich (aber nicht nur) als Antwort auf die Unbarmherzigkeit der Strafexpeditionen seitens der Gutsbesitzer und des Zaren kam es in Lettland vermehrt zur Brandschatzung von Gutshöfen, die nach Ansicht der lettischen Bauern „zuallererst eine Realität und auch ein Symbol der Macht des Adels waren“.[14] In dieser Zeit, in der die Rachsucht über den gesunden Menschenverstand siegte, wurden viele Kulturschätze unwiderruflich zerstört.
Nach dem Ersten Weltkrieg begann eine neue, von widersprüchlichen Phänomenen durchdrungene Epoche in der mehr als 700 Jahre langen Geschichte der Deutschbalten. Ihr Elitestatus und ihre politische, ökonomische und soziale Situation veränderten sich merklich. Mit der Gründung des Nationalstaats Lettland und den von diesem durchgeführten Maßnahmen verlor die deutschbaltische Elite einige ihrer im Laufe der Geschichte errungene Privilegien, die zuvor ihre herausragenden Positionen im politischen und wirtschaftlichen Umfeld gesichert hatten. 1920 wurden die Ritterschaftsorganisationen[15] in Kurland, Semgallen und Livland liquidiert und die Adelstitel abgeschafft. Am 18. März desselben Jahres erließ der Volksrat Lettlands das Gesetz über die Reduzierung der Vorkriegsschulden des Landes in lettische Rubel, das die Schulden der Bauern gegenüber den Gutsbesitzern beinahe vollständig tilgte.[16] Den schwersten Schlag jedoch versetzte den deutschbaltischen Gutsbesitzern die Agrarreform. Am 16. September stimmte die Verfassunggebende Versammlung Lettlands für ein radikales Agrargesetz, das praktisch die Enteignung größeren Landbesitzes und Übergabe an Landlose, in erster Linie Teilnehmer der Revolution von 1905 und des lettischen Unabhängigkeitskrieges,[17] bedeutete.[18] Als Folge der Agrarreform verloren die Deutschen in Lettland 2,7 Mio. Hektar Land.[19]
Nach 1920 wechselten Letten und örtliche Deutsche ihre Rollen. Nun konnten die Deutschbalten versuchen, sich als nationale Minderheit zu bestätigen. Für sie war dieser Status ungewohnt und fremd. Viele wollten sich damit nicht abfinden und verließen ihre Heimat. Die Mehrheit jedoch blieb und hoffte, dass man einen modus vivendi[20] mit den Letten finden würde, da auf ihrem Habenkonto immerhin die gemeinsamen Kämpfe gegen die Sowjetmacht im Jahre 1919 standen.[21] Diese Wahl erwies sich als richtig, da es den Deutschbalten nicht nur gelang, sich schnell umzuorientieren und der neuen politischen Realität anzupassen, sondern auch den korporativen Charakter ihrer Gesellschaft zu bewahren.[22]
Nach den Russen und den Juden bildeten die Deutschbalten die drittgrößte Minderheiten in Lettland. 1925 überschritt ihre Zahl knapp 70 000, der Anteil an der Gesamtbevölkerung betrug 3,9 Prozent. Der größte Teil von ihnen konzentrierte sich in den Städten Lettlands. Ein richtiger Stützpunkt der Deutschbalten war Riga, wo in dem genannten Jahr fast 62 Prozent von ihnen lebte. Bedeutsam war auch der Anteil der Deutschbalten an allen Einwohnern der Hauptstadt – er betrug 13 Prozent.[23] [...]
4. Warum beschlossen die Deutschbalten auszureisen?
Im Laufe der Zeit haben deutsche Historiker und deutschbaltische Autoren verschiedene Ansichten über die Umsiedlung und deren Motive geäußert. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden einige Diskussionen zu diesem Thema statt. Die erste begann in der zweiten Hälfte der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als in der Zeitschrift Baltische Hefte mehrere Artikel erschienen, die der politischen Geschichte der Deutschbalten in den 30er Jahren gewidmet waren. Die größte Aufmerksamkeit erhielt die umfangreiche Publikation „Über die Umsiedlungsfrage“ des Historikers und Journalisten Hans von Rimscha, in der er von neuem seine bereits im Jahre 1940 aufgestellte These vertrat.[24] Er behauptete, dass das Hauptmotiv für die Umsiedlung der Deutschbalten die freiwillige Unterwerfung der „Volksgruppe“ unter den Befehl Adolf Hitlers gewesen sei, da dieser die Auslandsdeutschen zur Heimkehr nach Deutschland aufgerufen habe.[25]
Ende der 50er Jahre bestritten beinahe alle anderen Autoren, die an der Diskussion teilnahmen, den Standpunkt von Rimschas in dieser Frage. Sehr scharf und begründet widersprachen ihm H. von Fölkersahm,[26] Wilhelm Wrangell,[27] von Sivers[28] und Arved Taube,[29] die die Furcht oder Rettung der Deutschbalten vor dem Bolschewismus, die Disziplin der „Volksgruppe“ und die hoffnungslose politische Situation, in der sich Lettland und damit auch die Deutschbalten befanden, als Hauptursachen für die Umsiedlung anführten.
Die zweite Diskussion begann Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts und stand, kurz gesagt, in Zusammenhang mit dem Protest gegen die Veröffentlichungen der ehemaligen Führer der „Bewegung“. In den ersten 20 Jahren nach dem Krieg wollte die deutschbaltische Gemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland faktisch wenig über die Anhänger der „Bewegung“ hören, da sie sie mit gutem Grund für die Hauptschuldigen an allen Missgeschicken der Deutschbalten, auch am Verlust ihrer Heimat, hielten.
1964 wurden in der Monatsschrift Baltische Briefe, die in der Bundesrepublik erschien, unter dem Titel „Im Interesse des Reiches. Zur politischen Vorgeschichte der Umsiedlung“[30] die Erinnerungen von Friedrich Buchardt veröffentlicht, dem stellvertretenden Leiter der „Bewegung“ im Berlin der zweiten Hälfte der 30er Jahre. In der Ausgabe der Monatsschrift vom Mai 1965 wurden sie von Erhard Kroeger kommentiert.[31] Und schließlich erblickten 1967 Kroegers eigene Erinnerungen unter dem Titel „Der Auszug aus der alten Heimat. Die Umsiedlung der Baltendeutschen“ das Licht des Tages. Sie sind eine bedeutende historische Quelle, da sie die Sichtweise des Leaders der örtlichen deutschen Nazis auf die politische Geschichte der Lettlanddeutschen in den 30er Jahren und den Umsiedlungsprozess widerspiegeln. Seiner Meinung nach wären im Falle einer sowjetischen Okkupation alle Deutschbalten bedroht und der Gefahr der Vernichtung ausgesetzt gewesen.[32] Er versuchte aufzuzeigen, dass es falsch sei, die Umsiedlung als Gehorsam gegenüber dem Führer-Befehl aufzufassen, weil nämlich niemals ein Befehl zur Umsiedlung ausgesprochen worden sei. Man könne einzig im übertragenen Sinne von einem „Gewissensbefehl“ sprechen, da es nur eine Aufforderung Hitlers, die Heimat zu verlassen und „am neuen Wohnort neue Aufgaben zu übernehmen“, gegeben habe.[33]
Eine neue Diskussion unter den Deutschbalten initiierte die von dem Juristen D.A. Loeber (gest. 2004) zusammengestellte Dokumentation „Diktierte Option“, die im Jahre 1972 erschien. Die darin veröffentlichten Dokumente (zusammen 332) waren sehr überzeugend, sie fanden starken Widerhall und eröffneten die Möglichkeit, eine recht umfassende Vorstellung von den Aktionen zur Umsiedlung der Deutschbalten zu erhalten. Die Ausreise der Lettland- und Estlanddeutschen und ihre Heimkehr ins Reich sind dort detailliert und nuancenreich dokumentiert. Diese Dokumentensammlung ist noch immer eine unersetzliche Quellenbasis für Historiker, die zum Verlauf der Umsiedlung forschen. […]
Seine Ansichten über die Umsiedlung der Deutschbalten führt Loeber in der umfangreichen Einleitung zu der Dokumentation aus. In der von ihm dargelegten Konzeption wird die Ausreise der Lettland- und Estlanddeutschen in einer engen Wechselbeziehung mit anderen Umsiedlungsaktionen und im Zusammenhang mit der politischen Strategie der NSDAP gesehen. Entsprechend dieser Grundeinstellung analysiert Loeber die Ausreise der Lettland- und Estlanddeutschen aus verschiedenen Blickpunkten. Seines Erachtens ist sie eine Maßnahme der imperialistischen Politik Deutschlands und der Sowjetunion, ein Instrument der nationalsozialistischen Rassen- und Volkstumspolitik (in diesem Zusammenhang wird der zwiespältige Charakter der Umsiedlung hervorgehoben: Rettung vor der Gefahr des Bolschewismus und gleichzeitig Kolonisierungsmaßnahme – Osteinsatz) und eine Aktion des totalitären Staates.
Loeber sieht in der Ausreise der Deutschbalten nach Deutschland aber auch den inviduellen Entschluss jedes einzelnen Deutschen. Große Aufmerksamkeit wird in diesem Zusammenhang der Klärung der möglichen Motive und deren Analyse gewidmet, um zu verstehen, weshalb sich jeder einzelne Lettland- oder Estlanddeutsche zur Aufgabe seiner Heimat entschloss. Nach Loebers Ansicht gibt es, wenn man formal oder einfach an die Sache herangeht, im Wesentlichen nur zwei Hauptursachen: die Umsiedlung als Rettungsaktion und die Umsiedlung als Kolonisierungsmaßnahme. Die erste spiegelt die ursprüngliche Stimmung der deutschen staatlichen Einrichtungen wider und die zweite die offizielle Parole, als die Leitung der Aktion von der SS übernommen wurde. Die ausgegebene Parole stützte sich auf die Vorstellungen der NS-Führung, dass Auslandsdeutsche (ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit) den Weisungen Deutschlands unterliegen. Ihrer Ansicht nach waren die volksdeutschen Umsiedler Personen, die ihrem Befehl unterstellt waren und die der Führer von der Erfüllung der bisherigen Pflichten befreite, „da er ihnen neue Aufgaben zuteilte“.[34]
Obwohl Loeber darauf hinweist, dass die Deutschbalten in den Umsiedlungsanträgen keine konkreteren persönlichen Gründe für die Ausreise nennen mussten (zudem sind diese Anträge nur mäßig dokumentiert), äußert er sich dennoch zu ihnen, wenn auch ziemlich knapp. Er erwähnt, dass das von den deutschen Behörden gegebene Versprechen auf Entschädigung des Eigentums und auch der Gedanke an das Ende des deutschen Kulturlebens in der Heimat, da sich Deutschland mit Lettland und Estland über die Umsiedlung der Volksgruppen als einheitliche Gesamtheit geeinigt hatte, viele in ihrem Entschluss bestärkte. Sehr wichtig sei für einige die Tatsache gewesen, dass die baltischen Regierungen sich entschlossen hatten, keinen Widerstand zu leisten und Sowjetforderungen zu akzeptieren; somit stellte sich die Frage der militärischen Verteidigung der Heimat nicht. Große Bedeutung, wenn es um die Motive zur Umsiedlung geht, hatte auch das deutschbaltische Gemeinschaftsgefühl.[35]
Sehr ähnliche Ansichten werden auch in dem 1973 veröffentlichten Buch von Arved von Taube und Erik Thomson „Die Deutschbalten. Schicksal und Erbe einer eigenständigen Gemeinschaft“ ausgesprochen (in lettischer Sprache 1993 publiziert). Die Autoren sind der Ansicht, dass der wahre Grund, weshalb die große Mehrheit der Deutschen des Baltikums ihre Heimat verließ, Angst vor der Bolschewisierung war. Nichtsdestoweniger durfte man, wie von Taube und Thomson aufzeigen, „wenn man ‚deutsch-sowjetische Freundschaftsgefühle‘ und Sorgen wegen der Esten und Letten in Betracht zog, dies nicht offiziell benennen. Die offizielle Bekanntmachung, dass ,die Deutschbalten in großer Einheit dem Ruf des Führers folgen, neue Aufgaben in den wiedergewonnenen Ostgebieten zu erfüllen‘, bestätigte im Ausland (auch in den neutral eingestellten Staaten) die Ansicht, dass es zu einer Vereinheitlichung der Deutschbalten und der Reichsdeutschen gekommen sei. Dieser Sichtweise schloss sich – ganz besonders in Lettland – nur ein kleiner Teil der jungen Generation an, die unter den Einfluss des Nationalsozialismus geraten war und der Ansicht war, dass der Konflikt zwischen Volks- und Staatszugehörigkeit nur mit radikalen Mitteln zu lösen sei.“[36]
Eine eigene Sichtweise offenbart Jürgen von Hehn in seinem Werk „Die Umsiedlung der baltischen Deutschen – das letzte Kapitel baltischdeutscher Geschichte“ (1982). Seiner Meinung nach beginnt, nachdem die einheimischen Deutschen in Lettland und Estland 1918/19 auf eine direkte Verantwortung für den Staat und seine Verwaltung verzichtet hatten, eine neue Epoche in ihrer Geschichte mit der für sie charakteristischen Hoffnungslosigkeit der Situation der Deutschbalten, die 1939 mit der Umsiedlung aus Lettland und Estland, wo sie mehr als 700 Jahre gelebt hatten, endete.[37] Indem er diese Ansicht äußert, leugnet von Hehn praktisch die Möglichkeit, dass die Deutschbalten, nachdem sie ihren vorherigen Status und ihre früheren Schlüsselpositionen verloren hatten, noch eine längere Zeit als nationale Minderheit hatten bestehen können.
Diese Sichtweise von Hehns ist nur sehr schwer als überzeugend einzustufen. Das Jahr 1918/19 leitete keineswegs das Ende der deutschen Geschichte im baltischen Raum ein. Die Deutschbalten blieben weiterhin ein eigenes örtliches Phänomen mit alten und tief verwurzelten historischen Traditionen. Sie schafften es recht erfolgreich, sich der politischen Realität, der Existenz der unabhängigen Staaten Lettland und Estland anzupassen. In den 20er Jahren wandelten sich einzig die politischen Formen ihrer Existenz entsprechend der parlamentarisch-demokratischen Staatsform und deren Geist.
Im Unterschied zu von Hehn ist Michael Garleff nicht der Meinung, dass die deutschen „Volksgruppen“ in Lettland und Estland nach der Entstehung der Nationalstaaten in eine beinahe ausweglose Situation geraten wären. Er verweist auf die Bereitschaft und die Fähigkeit des größeren Teils der Deutschbalten, sich den neuen gesellschaftlichen und politischen Umständen anzupassen. Allmählich habe dies zu einer Umorientierung und aktiver Teilnahme der einheimischen deutschen Politiker am staatlichen Leben Lettlands und Estlands geführt, wobei diese sowohl die Forderungen der einheimischen Deutschen vertreten als auch die allgemeinen Staatsinteressen nicht vergessen hätten.[38]
Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Beiträge des deutschen Historikers Rex Rexheuser über die Umsiedlung der Deutschbalten (Ende der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts veröffentlicht). In ihnen wird der Versuch unternommen, den von den Historikern hinterlassenen Nachlass auszuwerten und zu bestimmen, wie überzeugend sie auf zwei wichtige Fragen geantwortet haben: Warum brauchte Berlin die Umsiedlung der Auslandsdeutschen, und warum waren die Deutschbalten zur Umsiedlung bereit? Nach Ansicht Rexheusers sind die Anworten auf diese beiden Fragen weiterhin widersprüchlich und nicht ausreichend seriös begründet.[39]
Die von Rexheuser durchgeführte Analyse der Ursachen und des Verlaufs der Heim-ins-Reich-Politik ist zweifellos selten erfolgreich. Er deckt recht überzeugend die Besonderheiten der internationalen Situation jener Zeit auf und versucht zu erklären, warum die Deutschbalten in Lettland und Estland die einzige deutsche „Volksgruppe“ waren, die im Herbst 1939 von Berlin „gerettet“ worden war, bevor die sowjetische Armee ihre Heimat besetzt hatte. In diesem Zusammenhang weist er auf den hohen Bedrohungsgrad der Deutschbalten hin, da sie größtenteils gut situierte und gebildete Stadtbewohner waren, während die Deutschen in Litauen und in den sowjetisch okkupierten polnischen Gebieten vorwiegend Landbewohner respektive Bauern waren. Die plötzliche und unerwartet radikale Änderung der Situation nach der Unterzeichnung des Molotow-Ribbentrop-Paktes bestimmte nach Ansicht Rexheusers praktisch auch den fast einstimmigen Entschluss der Deutschbalten, ihre Heimat zu verlassen. Wenn sie geblieben wären, hätten sie nicht mehr auf die sichere Unterstützung und Verteidigung seitens Deutschlands hoffen können und mit verschiedenen unerwarteten (größtenteils wohl fiktiven) Wendungen des Schicksals und banalen Exzessen rechnen müssen. Weder in Lettland noch Estland fehlte es auch an sowohl rechts- als auch linksextrem eingestellten Menschen, denen die Deutschbalten ein Dorn im Auge waren. Nichtsdestoweniger ist es schwierig, ja beinahe unmöglich, sich vorzustellen, dass dies alles zu Beginn der sowjetischen Okkupation eine Auseinandersetzung mit den Deutschbalten hätte auslösen können.
Der deutsche Autor Lars Bosse teilt alle Motive und Gründe, die die Deutschbalten zur Umsiedlung ermunterten oder nötigten, in push- und pull-Faktoren ein. Als wichtigsten push-Faktor bzw. Grund, der die Bereitschaft die Heimat zu verlassen erhöhte, führt er die veränderte politische Situation nach dem Ersten Weltkrieg an, als sich die Deutschbalten von einer politisch und sozial privilegierten Schicht in eine Minderheit verwandelten. Das verbreitetste Argument zugunsten der Umsiedlung sei der horror sovieticus gewesen, d.h. die Furcht vor der drohenden sowjetischen Okkupation. Der Wunsch, die Heimat zu verlassen, wurde auch durch die positive Einstellung der deutschen Organisationen, Gesellschaften und der Kirche gegenüber der Umsiedlung gefördert.[40]
Zu den pull-Faktoren (den positiven Hoffnungen, die man hegte) zählt Bosse in erster Linie die Tatsache, dass sich die Deutschbalten ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Volk bewusst waren. Er lässt allerdings die Frage offen, ob in dieser Hinsicht der allgemein faszinierende Einfluss des Nationalsozialismus oder die konkrete Aufforderung des Führers zur Umsiedlung (viele Deutschbalten sahen in Hitler den Kanzler des gesamten deutschen Volkes; I. F.) größere Bedeutung hatte. Seiner Meinung nach war Berlins Versprechen, für das in der Heimat zurückgelassene Eigentum vollständige Entschädigung zu erhalten, sehr wirkungsvoll und beförderte die Umsiedlung.[41]
Matthias Schröder wendet sich in dem Artikel „Die Umsiedlung der Deutschbalten im Kontext europäischer Zwangsmigrationen“ (2006) der Typologisierung der „Umsiedlung“ zu und versucht, eine Antwort auf die Frage zu geben, ob es sich mehr um Emigration oder um Ausweisung (Vertreibung) handelte. Er wird wenig konkret, engt das ausgewählte Problem auf die Frage ein, ob man die Umsiedlung der Deutschbalten mit dem Begriff „Zwangsmigration“ bezeichnen kann, und bemüht sich, es aus zwei Blickwinkeln zu betrachten, indem er sowohl äußere (die wichtigsten politischen Voraussetzungen für den Ablauf der Umsiedlung) als auch „innere“ Faktoren (die von den Umsiedlern selbst angeführten Motive) berücksichtigt.[42]
Schröder betrachtet die Umsiedlung als ein von äußeren Faktoren bestimmtes Phänomen und weist darauf hin, dass sie bestimmt nicht die Option (Wunschoption) der Deutschbalten war, aber dass sie nichtsdestoweniger auf der Grundlage der Verträge stattfand, die Deutschland mit Lettland und Estland geschlossen hatte. Seiner Meinung nach zeugen die in den Verträgen verwendeten Formulierungen (im Falle Lettlands beispielsweise: Die Umsiedler „äußern freiwillig ihren Wunsch, auf alle Zeiten auf die Staatsangehörigkeit Lettlands zu verzichten“) durchaus nicht von einem Bestreben der Staaten Lettland und Estland, die Deutschbalten auszuweisen, da ihnen auch die Möglichkeit zu bleiben gegeben wurde. Schröder folgert daraus, dass man die Umsiedlung nicht mit einer Deportation oder Ausweisung vergleichen kann, eher wäre es präziser und angemessener, den Begriff „Emigration“ zu verwenden, für den ein Unterton von Unfreiwilligkeit charakteristisch ist, weil Emigration doch gewöhnlich auf Druck der Gesellschaft folgt.[43]
Hingegen sahen die Umsiedler selbst damals die Umsiedlung als Rettungsaktion und Zwangsmigration oder sogar als Ausweisung der „Volksgruppen“ an, und ihre Nachkommen sehen das häufig noch bis heute so. Diese Sichtweise bewertet Schröder als allzu emotional, den historischen Vorgängen gegenüber inadäquat und darauf orientiert, die Einstellung, dass die Deutschbalten Opfer seien, in den Vordergrund zu stellen.[44] […]
6. Die Umsiedlung und die Einstellung der lettischen Gesellschaft
Die Umsiedlung der Deutschen Lettlands im Herbst 1939 fand auf dem Seeweg statt. Sie war insgesamt gut organisiert und ging schnell vonstatten, aber sie kam natürlich auch nicht ohne einzelne Zwischenfälle aus, von denen der „herausragendste die Affäre der unentdeckten Brandbomben auf der ,Sierra Cordoba‘“ war –[45] einem Schiff, mit dem sich viele deutschbaltische Nazi-Vertreter am 9. Dezember auf den Weg nach Deutschland machten. Nach Informationen des Historikers von Hehn entdeckte man auf dem Schiff, als es den Hafen von Riga bereits verlassen hatte, eine Brandbombe, und „es musste anscheinend noch eine weitere versteckt sein“.[46] Man kehrte nach Riga zurück, und das Schiff wurde von der Polizei und Feuerwehr Lettlands durchsucht, aber man fand nichts. In der historischen Literatur werden verschiedene Mutmaßungen darüber angestellt, wer diesen Diversionsversuch organisiert haben könnte ‒ der britische oder der französische Geheimdienst.
Völlige Klarheit in dieser Frage gibt auch der Einblick in die Materialien der Politverwaltung Lettlands [Politische Verwaltung Lettlands ‒ der Innengeheimdienst; D. H.] nicht. Ihnen ist zu entnehmen, dass die Politverwaltung am 9. Dezember 1939 Ermittlungen gegen Raymond Schmittlein, einen Lehrer am französischen Lyzeum, aufnahm, in dessen Wohnung in Riga am 13. Dezember eine Hausdurchsuchung stattfand. Am 9. Januar 1940 schrieb der Oberaufseher H. Teidemanis in einer Erklärung an den Vorsitzenden der Politverwaltung Jānis Fridrihsons: Schmittlein habe gestanden, dass er die erfolglose Sprengung der Sierra Cordoba organisiert habe. Er wurde aus Lettland ausgewiesen.[47]
Von Riga aus trat der größte Teil der einheimischen Deutschen die Reise an. Die Deutschen aus Livland, Semgallen und Lettgallen sammelten sich zur Abfahrt in Riga. Die in Westkurland wohnhaften Deutschen traten die Fahrt ins Reich von Libau [Liepāja; D. H.] aus an, aus Nordkurland hingegen startete man in Windau [Ventspils; D. H.]. Das erste Schiff mit Deutschen, die ehemalige Staatsangehörige Lettlands waren, verließ Riga am 7. November 1939 (zuvor hatten im Oktober die in Lettland lebenden Reichsdeutschen mit zwei Schiffen das Land verlassen), und das letzte am 16. Dezember. Um die Umsiedler und ihre Habe aus Lettland herauszubringen, unternahmen die deutschen Schiffe insgesamt ungefähr 100 Fahrten.[48] Zum hauptsächlichen neuen Aufenthaltsort der Lettlanddeutschen wurde der Reichsgau Wartheland, der entstanden war, indem man Polen breite Gebiete im Westen weggenommen hatte. Recht viele Deutschbalten wurden auch im Reichsgau Westpreußen angesiedelt.
Parallel zur Ausreise der Deutschbalten fand in Lettland auch ein anderer Vorgang statt, der mit der Umsiedlung zusammenhing, nämlich die Liquidierung der kulturellen und gesellschaftspolitischen Einrichtungen des Deutschtums. So wurden beispielsweise schon ab dem 1. November 1939 die deutschen Schulen geschlossen, und es wurden Liquidatoren für die 151 deutschen Gesellschaften und Organisationen, deren Tätigkeit innerhalb von 14 Tagen beendet werden musste, eingesetzt.[49] Des Weiteren verabschiedete die Regierung Ulmanis am 28. November ein Gesetz zur Schließung der deutschen Hochschule in Riga, des Herder-Instituts,[50] und am 13. Dezember erschien die letzte Ausgabe der wichtigsten deutschbaltischen Zeitung Rigasche Rundschau. „Deutsche, die Staatsangehörige Lettlands sind, gibt es formal nicht mehr,“ so lautete die offizielle Sichtweise.
Wie viele Deutsche verließen Lettland im Herbst 1939? Die Antwort auf diese Frage bekommen wir, wenn wir einen Blick in den Bericht von Marģers Skujenieks, des Direktors der Staatlichen Statistikverwaltung Lettlands, werfen, der Ulmanis am 24. April 1940 zugesandt wurde. In dem Dokument steht vermerkt, dass „bis zum 15. Dezember 1939 in Lettland 46 954 Personen aus der Staatsangehörigkeit Lettlands entlassen worden sind und in unseren Vertretungen im Ausland 1 884 Personen, d.h. insgesamt 48 838“.[51] Unter denen, die in Lettland aus der Staatsangehörigkeit Lettlands entlassen wurden, waren 45 159 Deutsche. Es ist interessant darauf hinzuweisen, dass sich von ihnen bei der Volkszählung 1935 nur 37 754 Personen als Deutsche ausgegeben hatten. Insgesamt lebten in Lettland 1935 (entsprechend den Daten der Volkszählung) 56 441 Deutsche, die Staatsangehörige Lettlands waren, aber nach den Daten des Statistikbüros hatte sich ihre Zahl 1939 auf 54 567 verringert.[52] Außer den Deutschen, die Staatsangehörige Lettlands waren, lebten in Lettland auch ausländische Deutsche und Staatenlose mit Nansen-Pass (1935 waren es 5 703), von denen der größte Teil 1939 nach Deutschland ausreiste.
Die Ausreise der Deutschen Lettlands setzte sich auch im Frühjahr des Jahres 1940 fort. Die Regierung Lettlands und die deutsche Gesandtschaft in Riga hatten vereinbart, dass noch diejenigen einheimischen Deutschen ausreisen dürften, die dies aus besonderen Gründe nicht bis zum 15. Dezember 1939 getan hatten. Die Zahl der Ausreisewilligen war jedoch sehr klein, es handelte sich nur um 506 Personen. Sie mussten Lettland bis zum 30. April 1940 verlassen.[53] Die Umsiedlung fand gemäß den Bestimmungen des Vertrages vom 30. Oktober 1939 statt.
Wie reagierte die lettische Gesellschaft auf die Ausreise der Deutschbalten? Zumindest eine Teilantwort auf diese Frage kann man geben, wenn man sich mit Quellen wie den Reden von Regierungsvertretern Lettlands, Dokumenten von staatlichen Behörden und der damaligen Presse beschäftigt. Jedoch spiegeln diese Quellen hauptsächlich den offiziellen Standpunkt Lettlands wider. In diesem Zusammenhang könnte man darauf hinweisen, dass die Einstellung der Regierung selbst die Einstellung der Beamten der Politverwaltung Lettlands spürbar beeinflusste. Es scheint daher, dass sogar ihre Berichte nicht ausreichend objektiv sind und in ihnen Versuche zu konstatieren sind, unter Berücksichtigung des Regierungsstandpunkts betont das positive Verhältnis der Letten zur Ausreise der einheimischen Deutschen hervorzuheben. Besonders kann man dies in den Berichten beobachten, die unter dem unmittelbaren Eindruck der Ulmanis-Rede vom 12. Oktober 1939 geschrieben wurden. In seiner Botschaft an das Volk wandte sich der Minister- und Staatspräsident scharf gegen die Erregung in der lettischen Gesellschaft wegen der Ausreise der Deutschbalten.
Andererseits stehen dem Autor nur sehr wenige private Quellen zur Verfügung: persönliche Briefe, Tagebücher, Erinnerungen usw. Möglicherweise würden gerade diese Materialien das Verhältnis der Letten zu den Deutschbalten aus einem anderen Blickwinkel und auf einem anderen Niveau zeigen. Beispielsweise könnte man feststellen, wie sich die Letten gegenüber der Ausreise ihrer deutschen Nachbarn verhalten haben, und ob sie sich ihren Staat ohne diese vorstellen konnten oder auch nicht. Wegen des Mangels an entsprechenden Materialien und der fehlenden Erkenntnis bleibt uns diese Möglichkeit im Großen und Ganzen jedoch verwehrt.
Wie die Dokumente der staatlichen Behörden Lettlands belegen, bewirkten die ersten Nachrichten über die Umsiedlung der Deutschbalten eine Zunahme der Erregung in der lettischen Gesellschaft. Im Staat wurde das Reden über einen möglichen Angriff der Truppen der Sowjetunion stärker. Am 11. Oktober 1939 teilte der stellvertretende Leiter der Politverwaltung des Bezirks Libau, D. Mergins, Jānis Fridrihsons mit: „Unter den Letten und den Einwohnern anderer Nationalitäten geht das Gerücht um, dass den einheimischen Deutschen weisgemacht würde, dass Hitler von der Regierung der UdSSR zwei Wochen Zeit erbeten habe, um die eigenen Landsleute aus den Staaten des Baltikums evakuieren zu können, weil danach die Kommunisten hier einzögen.“[54]
Eine ähnliche Information findet sich auch in anderen Dokumenten. Beispielsweise schrieb der Oberaufseher N. Lapsiņš in einem Bericht vom 28. Oktober 1939 an den Leiter der Politverwaltung des Bezirks Riga, dass „der Vertrag mit der UdSSR [gemeint ist das erzwungene Stützpunktabkommen vom 5. Oktober 1939; I. F.] und die überhastete Umsiedlung der Deutschen unter den lettischen Arbeitern eine panische Stimmung hervorgerufen habe.“[55] Tatsächlich weist er im weiteren Verlauf seines Berichtes darauf hin, dass die Rede des Staatspräsidenten vom 12. Oktober und die Verzögerung der Umsiedlung der Deutschen diese „Aufregung fast völlig beseitigt haben“.[56] In der erwähnten Rede bezeichnete Ulmanis unter anderem die Behauptung, dass die Umsiedlung der Deutschen in irgendeiner Weise in Zusammenhang mit dem am 5. Oktober geschlossenen Beistandspakt zwischen Lettland und der Sowjetunion stünde, als völlig unsinnig. Er bemühte sich, dem lettischen Volk die Wahrheit zu verschweigen und ihm einzureden, dass die Ausreise der einheimischen Deutschen einzig aus Erwägungen der deutschen Regierung erfolgte und unabhängig von irgendwelchen anderen Umständen wäre.[57] Auf diese Art und Weise desinformierte und desorientierte Ulmanis bewusst die lettische Gesellschaft. Anstelle der bitteren und unangenehmen Wahrheit bot er ihr propagandistische Märchen an. Eine solche Haltung und Auswahl war objektiv von Vorteil für die Sowjetunion – die Großmacht, die die Unabhängigkeit Lettlands bedrohte.
Sehr scharf, um nicht mehr zu sagen, wandte sich Ulmanis in der erwähnten Rede gegen Panikmacher. Er gab zu, dass die Aufregung in der lettischen Gesellschaft dazu führe, darüber zu reden, „dass manche Letten gemeinsam mit den Deutschen ausreisen wollen“, und sagte seine berühmten und sehr häufig zitierten Worte: „Wenn jemand fahren will, soll er fahren, aber er weiß, dass die Ausreise in diesen Tagen nur auf ähnlichem Wege wie für die Deutschen, die Staatsangehörige Lettlands sind, möglich ist, nämlich auf Nimmerwiedersehen.“[58] Diese Worte beinhalten auch die Möglichkeit als offene Missachtung des lettischen Volkes interpretiert zu werden.
Sowohl in Ulmanis‘ Rede vom 12. Oktober als auch in vielen anderen offiziellen Dokumenten spiegelt sich die positive Haltung der lettischen Regierung gegenüber der Tatsache der Umsiedlung der Deutschbalten wider. Es ist ziemlich schwierig, ohne Ausflüchte dem deutschen Historiker von Hehn zuzustimmen, der anmerkt, dass nach Ansicht der Regierung Ulmanis die Ausreise der einheimischen Deutschen im Wesentlichen „einen bedeutenden Fortschritt auf dem Weg zur Verwirklichung des Programms eines ,lettischen Lettlands‘“[59] darstellte. Regierungsvertreter erwähnten jedoch verhältnismäßig häufig auch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die durch die Umsiedlung der örtlichen Deutschen entstanden waren, obwohl sie allerdings auch nicht vergaßen, ebenso häufig zu betonen, dass das politische Leben Lettlands dadurch nur gewinnen werde.
Berücksichtigt man die offiziell deklarierte Haltung, dann bemühten sich die staatlichen Behörden Lettlands, die Ausreise der einheimischen Deutschen zu fördern. Besonders aktiv in dieser Hinsicht war die Politverwaltung Lettlands. Am 30. November 1939 wurde durch ihren Leiter, J. Fridrihsons, die Anordnung erlassen, dass alle Bezirksleiter der Politverwaltung eilig klären müssten, welche von den in den Grenzen ihres Bezirks wohnhaften Deutschen nicht ausreisen wollten. Fridrihsons gab die Empfehlung, Beamte der Politverwaltung bei diesen Deutschen vorbeizuschicken, damit sie die Gründe, warum die Deutschen bleiben wollten, herausfanden und ihnen offiziell mitteilten, dass die Verweigerung der Ausreise eine Verleugnung ihres eigenen Volkstums bedeutete. Gleichzeitig war es die Aufgabe dieser Beamten, den Deutschen, die bleiben wollten, zu erklären, dass sie in Zukunft einzig als Konjunktur-Bürger des Staates Lettland angesehen werden würden, die dort nur durch wirtschaftliche Interessen gebunden seien.[60]
In Ausführung dieser Anordnung sandten die Bezirksleiter der Politverwaltung Lettlands Fridrihsons bis zum 10. Dezember 1939 Listen derjenigen Deutschen zu, die nicht nach Deutschland umsiedeln wollten. In einer Liste, die der Leiter des Bezirks Libau, N. Roznieks, schickte, wurden beispielsweise 1 303 Personen aufgeführt. Es stellte sich heraus, dass in der Stadt Libau 534 Personen lebten, die nicht nach Deutschland ausreisen wollten, im Kreis Libau 325, im Kreis Hasenpoth [Aizpute; D. H.] 149 und im Kreis Goldingen [Kuldīga; D. H.] 295.[61] Es ist interessant, dass in der oben erwähnten Liste auch die Gründe für die Verweigerung der Umsiedlung angegeben wurden. Um welche handelte es sich? Ich werde nur die wichtigsten benennen: Die Angehörigen siedeln nicht um; Alter; materielle Umstände; Lettland ist die Heimat; negative Einstellung gegenüber der Staatsform Deutschlands; will nicht an die Front; will seine Immobilien nicht verlieren; Krankheit; Angst vor Hunger und Krieg; keine Angehörigen in Deutschland; keine Deutschkenntnisse; Befreier Lettlands u.a.[62]
Es ist charakteristisch, dass die lettische Regierung hoffte, gleichzeitig mit der Durchführung der Ausreise der Deutschen auch die möglichen Anknüpfungspunkte einer künftigen deutschen Politik in Lettland zu beseitigen. Ein lebhaftes Zeugnis darüber legt beispielsweise die negative Haltung der staatlichen Behörden Lettlands gegenüber der Anregung von deutscher Seite ab, das Rigaer Herder-Institut durch Umwandlung in ein deutsches Kultur-Institut zu retten. Im November 1939 besprach der deutsche Gesandte in Riga, Ulrich von Kotze, dies mit Außenminister Vilhelms Munters und Bildungsminister Jūlijs Auškāps. In seinem Namen und dem der Regierung teilte Auškāps dem deutschen Gesandten mit, dass „ein solches Institut derzeit nicht zweckdienlich wäre“.[63]
Gegen den Standpunkt von Auškāps wandte sich der lettische Gesandte in Berlin, Edgars Krieviņš. Er wies in einem Bericht an das Außenministerium am 12. Dezember 1939 darauf hin, dass es nicht ratsam wäre, den deutschen Vorschlag zurückzuweisen. Seines Erachtens müsste das lettische Volk in der weiteren Entwicklung enge Beziehungen mit der westeuropäischen Kultur unterhalten.[64] Zur Begründung seiner Haltung vermerkte Krieviņš: „Die Wege, welche die Letten einschlagen müssen, wenn sie nach dieser Kultur streben, führen größtenteils nach Deutschland. Dies liegt nicht nur in den historischen und geopolitischen Gegebenheiten begründet, sondern auch in Erwägungen rein praktischer Natur.“[65]
Die hier skizzierte Episode ist ein Beleg dafür, dass innerhalb der herrschenden Kreise Lettlands ernsthafte Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Einstellung gegenüber den örtlichen Deutschen und deren Ausreise bestanden.[66] Auch hinsichtlich der Ordnung der wirtschaftlichen Angelegenheiten der Umsiedler herrschte keine wirkliche Einigkeit im Ministerkabinett Lettlands. Nach Informationen der Politverwaltung war Alfrēds Valdmanis (Finanzminister bis zum 25. Oktober 1939) der Meinung, dass die Regierung im Prinzip schon ihre Zustimmung zur Ausreise der Deutschen geben könne, dass es jedoch nicht nötig sei, einen Termin festzusetzen, und, was das Wichtigste war, dass die Regierung die Aufsicht über die Abwicklung ihres Besitzes nicht übernehmen und ihnen keinen Ausgleich zahlen müsse – „sollen sie sich doch selbst zehn Jahre lang abwickeln“.[67]
Es wäre wohl besser gewesen, wenn die Regierung Ulmanis trotzdem versucht hätte, die Umsiedlung der Deutschen Lettlands zu vermeiden, denn dann wäre die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, wenn auch unwahrscheinlich gewesen, in irgendeiner Weise den im Molotow-Ribbentrop-Pakt programmierten und für die Unabhängigkeit Lettlands so schicksalshaften Verlauf der Ereignisse eventuell zu ändern. Hätte Lettland Berlins Plan zur Umsiedlung der Deutschbalten nicht zugestimmt und ihn nicht umgesetzt, hätte sich Deutschland vielleicht unter Berücksichtigung des so genannten Bromberg-Komplexes und der Fürsorge für die Deutschbalten zu einer Handlungsweise gezwungen gesehen, die den sowjetisch-deutschen Verträgen nicht wirklich angemessen gewesen wäre.
Viele Quellen belegen, dass Ulmanis der Ernst der Situation und die entstandene Bedrohung für die Unabhängigkeit Lettlands sehr bewusst waren. Nicht umsonst übernahm die Regierung Ulmanis, die weiterhin die Aussichten auf eine Bewahrung der staatlichen Unabhängigkeit mit Deutschland und dessen Änderung seiner Haltung verband, die hohen Außenschulden für die Besitztümer der Deutschbalten, die diese in Lettland zurückgelassen hatten. Auf diese Weise plante man, das Interesse Berlins an Lettland zu erhalten und sogar zu steigern.
Die von der Regierung Lettlands vertretene Handlungslinie gegenüber der Umsiedlung der Deutschbalten spiegelte sich in vollem Maße in der Presse wider. In den Zeitungen und Zeitschriften erschienen viele Artikel, in denen von ausgeprägt nationalistischen Positionen ausgehend mit offener Genugtuung betont wurde, dass Lettland nun noch nationaler würde, da das Deutschtum in Lettland auf alle Zeiten sein Ende gefunden habe. In einzelnen Publikationen wurde besonders auch der Gedanke hervorgehoben, dass mit der Umsiedlung der Deutschbalten das letzte mögliche Streitobjekt in den lettischen Beziehungen zu Deutschland verschwunden sei.[68]
Der Ton in den Zeitungen Lettlands war den Deutschen gegenüber beleidigend. Das fiel auch den deutschen Staatsbehörden auf, die sorgfältig die in der lettischen Presse veröffentlichten Artikel über die Ausreise der Deutschbalten verfolgten. Am 4. Januar 1940 berichtete der Gesandte Lettlands in Berlin, Edgars Krieviņš, nach Riga, dass die Beiträge der Zeitungen Lettlands in den entsprechenden deutschen Behörden besprochen würden und die Deutschen „unangenehm überrascht seien“. Auch Krieviņš selbst war der Meinung, dass in mehreren Veröffentlichungen, die in der lettischen Presse gebracht worden waren, „einzig Hass und sogar ein Mangel an Selbstachtung des lettischen Menschen zum Ausdruck kommen“.[69]
Krieviņš hatte damit hundertprozentig Recht. Aus den lettischen Pressematerialien konnte man den Eindruck gewinnen, die ausreisenden Deutschbalten seien große Feinde der Letten. Doch dies entsprach natürlich nicht der Wahrheit. Möglich auch, dass hier die Rede von einer speziell beabsichtigten Aktion war. Zumindest belegen manche Quellen, dass die Regierung Ulmanis vorhatte, mit Hilfe einer solchen Pressekampagne, mit dieser Ausrichtung gegen alles Deutsche eine neue Welle des Nationalismus zu erreichen, um die nationale Kraft und die Einigkeit des lettischen Volkes in diesem für Lettland so schwierigen Moment, als ihm sowjetische Okkupation und Sowjetisierung drohten, zu stärken.
Natürlich waren nicht alle Publikationen in der lettischen Presse durch eine antideutsche Tendenz charakterisiert. Eine davon war der Artikel „Der Baltendeutschen jüngstes Gericht“ von Jānis Lapiņš, der 1939 in der Dezemberausgabe der Zeitschrift „Sējējs“ erschien. In dieser Veröffentlichung wurde im Großen und Ganzen eine mitfühlende und korrekte Haltung gegenüber den Ausreisenden zum Ausdruck gebracht. Nach Lapiņš‘ Meinung trennten sich 90 Prozent der Deutschbalten nur schweren Herzens von Lettland. „Was ist es, das die Deutschen in unserem Land zurücklassen?“, fragte er und gab die Antwort, dass „es die Gräber ihrer Vorfahren und die Geschichte Lettlands sind“.[70]
Die in der Presse vertretene Sichtweise gegenüber der Ausreise der Deutschbalten beeinflusste die Stimmung in der lettischen Gesellschaft spürbar. Viele Bewohner Lettlands bewerteten die Ausreise der örtlichen Deutschen positiv, mit einem ausgesprochenen Gefühl der Erleichterung. In dem bereits oben erwähnten Bericht des stellvertretenden Leiters der Politverwaltung des Bezirks Libau, D. Mergins, stand, dass „die Letten und die übrigen Nationalitäten […] die Umsiedlung der Deutschen mit merklicher Freude aufnahmen.“[71] Anscheinend war der wichtigste Grund für eine solche Einstellung die in Lettland herrschende antinazistische und antideutsche Stimmung, die hauptsächlich infolge von Berlins herausfordernder Handlungsweise und seiner Außenpolitik, die Bedrohungsgefühle hervorrief, entstanden war. Zudem war unter den Bewohnern die Ansicht, dass die Deutschbalten die Agentur des Nationalsozialismus in Lettland seien, sehr tief verwurzelt, obwohl der von Kroeger geleiteten „Bewegung“ nur ungefähr 1 000 Genossen angehörten, der größere Teil der Deutschen Lettlands hingegen ihre Loyalität gegenüber dem Staat bewahrt hatten. Es darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass sich auf dem Niveau des alltäglichen Bewusstseins die Umsiedlungsaktion für viele Letten mit Möglichkeiten verband, ihren eigenen Nationalstaat zu konsolidieren, die Spannung in den nationalen Beziehungen zu beseitigen und auch ihren eigenen wirtschaftlichen Status zu verbessern. Und letztlich ist es unzweifelhaft, dass die wohlwollende Einstellung, die ein großer Teil der lettischen Gesellschaft gegenüber der Ausreise der örtlichen Deutschen hegte, die Konsequenz war, die sich aus den antideutschen Tendenzen in der von der Regierung Ulmanis umgesetzten Innenpolitik in der Mitte und der zweiten Hälfte der 30er Jahre ergab.
Zutreffend ist anscheinend auch die Ansicht, dass die Stimmung der lettischen Gesellschaft jener Zeit ein Resultat war, das von der Situation, die sich historisch entwickelt hatte, determiniert und von der Propaganda, die in Lettland jahrelang gegen die Deutschbalten als „Sklavenhalter des lettischen Volkes“ während vieler Jahrhunderte gerichtet worden war, bestimmt war. Am 29. Mai 1940 äußerte der lettische Innenminister, Kornēlijs Veidnieks, anlässlich einer Zusammenkunft der Kommandanten der Rigaer Garnison, dass „nur die Geschichte in der Lage sein wird, eine vollständige Bewertung darüber abzugeben, wie groß der Gewinn durch die Umsiedlung der Deutschen für unser Volk war.“[72] Er irrte sich allerdings bitterlich und täuschte sich heftig. Von unserem heutigen Standpunkt aus ist es völlig eindeutig, dass die Umsiedlung der Deutschen für Lettland ein unwiederbringlicher Verlust war, man könnte sogar sagen, der schwerste in seiner ganzen Geschichte. […]
Ende
Das Einvernehmen und die Zusammenarbeit Deutschlands und der Sowjetunion in den Jahren 1939 bis 1941 hat die gesamte europäische Geschichte entscheidend beeinflusst. Die von zwei aggressiven Großmächten geschlossenen Verträge und Geheimabkommen erwiesen sich mehrere Jahrzehnte lang als besonders schicksalshaft für Osteuropa. Die destruktive Rolle der erwähnten Dokumente zeigte sich deutlich am Ende des Zweiten Weltkriegs, als es dem sowjetischen Diktator Josef Stalin auf der Konferenz von Jalta, die vom 4. bis 11. Februar 1945 stattfand, gelang, von dem US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt und dem britischen Premierminister Winston Churchill de facto Territorien zu erhalten, auf die einige Jahre zuvor der deutsche Führer Adolf Hitler zu seinen Gunsten de iure verzichtet hatte.[73] Da die in Jalta begründete internationale Ordnung das Schicksal Europas sogar bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahre 1991 bestimmte, ist die Frage weiterhin eminent wichtig. Obwohl die Staaten des Baltikums ihre Unabhängigkeit nun schon seit recht langer Zeit zurückerhalten haben, liegt die Ironie der Geschichte darin, dass der Molotow-Ribbentrop-Pakt, oder genauer gesagt die darin vorgesehenen territorialen Veränderungen, die später in anderen Verträgen bestätigt wurden, weiterhin in hohem Maße die Grundlage der heutigen politischen Landkarte Osteuropas bilden.
Der Molotow-Ribbentrop-Pakt hatte auch viele andere unwiderrufliche Veränderungen zur Folge, die sich in der historischen Sicht als sehr ungünstig für Lettland erwiesen. Es verlor seinen historisch gewachsenen nationalen Bestand an Einwohnern und damit einhergehend auch die stabile Verbindung zum Westen und zur westlichen Kultur. Die erste Sowjetokkupation, die nach der Ausreise der Deutschbalten stattfand, versetzte Lettland ein neuen vernichtenden Schlag: Die Deportation der Einwohner im Juni 1941 (sie betraf hauptsächlich die wirtschaftliche und politische Elite sowie die Intelligenz) vertiefte das intellektuelle Vakuum, das sich zu bilden begonnen hatte, und schuf gleichzeitig auch einen „leeren Raum“, den auszufüllen in der Zukunft Einwanderer aus dem Osten die Möglichkeit haben würden. Andererseits war das Hauptunglück, das die nationalsozialistische Okkupation mit sich brachte, der Holocaust: Lettland verlor auch seine jüdische Gemeinschaft. Die zweite sowjetische Okkupation hingegen rief die massenhafte Flucht der Bewohner nach Westen hervor. Mehr als 200 000 Menschen verließen Lettland und begaben sich in die Fremde. Ihren Platz nahmen Migranten aus der gesamten Sowjetunion ein.
Das Antlitz Lettlands veränderte sich fast bis zur Unkenntlichkeit. Für Menschen, die nach der Wiederlangung der Unabhängigkeit Lettlands im Jahre 1991 in die Heimat ihrer Vorfahren zurückkehrten, war es schwierig, ja manchmal sogar unmöglich, sich einzuleben. Das gute alte Lettland, wie sie es gewöhnt gewesen waren und es in ihren Erinnerungen viele Male angerufen und vergöttert hatten, war in der Vergangenheit entschwunden, und diesmal ohne Wiederkehr. Heute leben wir in einer ganz anderen, sehr eigenen und sonderbaren Epoche. Man könnte sie als eine national gelockerte Epoche bezeichnen, faktisch als eine Epoche des Kosmopolitismus und des unter dem Eindruck der so genannten Siegerversion zutiefst missverstandenen oder nicht richtig verstandenen politischen Korrektness. Die Frage ist nur, wer daraus irgendeinen Nutzen gezogen hat und zieht. Die Antwort darauf lautet: wahrscheinlich nicht die Grundeinwohnerschaft Lettlands.
Die Deutschbalten hingegen bemühten sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland, die für annähernd 70 Prozent der Überlebenden zum Aufenthaltsort wurde, ihre Eigenart zu bewahren und aufrecht zu erhalten. Die Deutschbalten schufen sich ihre eigenen Organisationen, veranstalteten verschiedenartige Treffen, in Göttingen gründeten sie die Baltische Historische Kommission, die sich mit der Erforschung der deutschbaltischen Geschichte beschäftigte, und sie gaben auch ihre eigenen Presseorgane heraus. Auch nach mehr als 70 Jahren erscheint weiterhin das in Lettland recht populäre und viel gelesene Jahrbuch des baltischen Deutschtums.
Aus dem Lettischen übersetzt von Sabine Jordan, Münster
Text 2:
Das Jahr 1939. Die Repatriierung der Baltendeutschen
IV: Kapitel: Das Jahr 1939
Die Repatriierung der Baltendeutschen
Jānis Urbanovičs: Ein Resultat der Aufteilung der deutsch-sowjetischen Interessensphären waren die historischen Veränderungen in der nationalen Zusammensetzung der Einwohner Lettlands. Die Menschen deutscher Nationalität verließen das Land, das der sowjetischen Interessensphäre zugeteilt wurde. Ich glaube, dass dieses Thema eine fundamentale Geschichtsforschung wert wäre. Es war ein großes Unglück und eine Tragödie für alle baltischen Deutschen, die das Land verließen, in dem ihre Vorfahren seit dem 13. Jahrhundert lebten. Es handelte sich dabei nicht um eine freiwillige Ausreise, wie es manchmal dargestellt wird, denn diejenigen, die zögerten, wurden starkem psychologischen Druck unterworfen – mit der Drohung der Vernichtung im Falle der Verweigerung der Ausreise oder Umsiedlung in die gerade erst Polen entrissenen Gebiete. Als die ehemaligen Staatsbürger Lettlands nach Großdeutschland kamen, gerieten sie sogleich in die Atmosphäre des deutschen Faschismus, in der jeglicher Ungehorsam oder jegliche Freisinnigkeit unbarmherzig bestraft wurden. Diese unglücklichen, durch Drohungen und Erpressung eingeschüchterten Menschen schrieben verlogene Briefe an diejenigen, die noch zweifelten und nicht ausgereist waren, und erzählten ihnen, wie märchenhaft das Leben in Großdeutschland sei. Hingegen versuchten diejenigen, die auf Umwegen die Wahrheit über die Lebensumstände im besetzten Polen erfahren hatten, als sie Lettland verließen, anstelle der Möbel einen Mehlsack auszuführen, weil sie wussten, welch „süßes“ Leben sie in Deutschland erwartete.
Während des Zweiten Weltkriegs verlor Lettland zwei ethnische Gemeinschaften – die Deutschen und die Juden. Die Ausreise der Deutschen ist nicht mit der Tragödie des Holocausts zu vergleichen. Nichtsdestoweniger verlor Riga, nachdem es diese beiden Gemeinschaften verloren hatte, auch den kosmopolitischen Charme, den Riga bis zum Zweiten Weltkrieg besessen und der Riga erlaubte sich verdientermaßen als „Klein-Paris“ zu bezeichnen.
Juris Paiders: Wenn man einfach nur konstatiert, dass die Baltendeutschen Lettland infolge des Molotow-Ribbentrop-Paktes verließen, sagt man gar nichts aus. Es war klar, dass diese Ausreise mit der Aufteilung der Interessensphären verbunden war. Jeder, der auch nur Gerüchte verbreitete, riskierte drei Monate Haft. Das zweite, was jeder in der lettischen Gesellschaft wusste, war die Tatsache, dass Deutschland das polnische Territorium umgestaltete, dass Polen aufgeteilt wurde. Ein Teil von Polen wurde Großdeutschland einverleibt. Die Polen aus diesen Territorien wurden umgesiedelt (um nicht zu sagen deportiert), und Deutsche aus anderen Staaten wurden zur Umsiedlung in diese Gebiete aufgefordert. Die Deutschen, die in die Einflusssphäre der UdSSR gerieten, wurden vor dem Schicksal gewarnt, das sie erwartete, falls sie sich nicht repatriieren lassen würden. Meines Erachtens ließ sich die UdSSR mit der Annexion der baltischen Staaten Zeit, weil man Deutschland gestatten musste, seine Interessen zu wahren, und ihm die Zeit geben musste, damit die Deutschen das Baltikum verlassen konnten. Aus einer nationalistischen Position betrachtet war das großartig. Mit einem Schlag wuchs das Eigengewicht der Letten im Staat von 75 auf 78 Prozent. Unter ökonomischen Gesichtspunkten gesehen war es eine Katastrophe. Erinnern wir uns daran, was, entsprechend dem Postulat von Adam Smith, den Wohlstand des Staates bestimmt. Der Wohlstand des Staates ist die Menge der produzierten Waren und Dienstleistungen. Die Waren und die Dienstleistungen können nur von Menschen produziert werden. Wenn eine große Anzahl qualifizierter Arbeitskräfte den Staat verlässt, dann verringert sich aus dem Blickwinkel des nationalen Einkommens der Wohlstand des Staates. Die Baltendeutschen waren eine numerisch kleine Einwohnergruppe, doch hatten sie bedeutenden Einfluss in Industrie, Finanzen und Handel, insbesondere dem internationalen Handel. Die Baltendeutschen in Lettland waren eine bedeutende Kraft in der Kultur und als Konsumenten im oberen Niveau. Wenn die Ausreise der Baltendeutschen unter Friedensbedingungen stattgefunden hätte, hätte sie unausweichlich eine enorme wirtschaftliche Krise hervorgerufen. Der scheinbare Gewinn, dass Lettland national einheitlicher wurde, barg in sich sehr viele Probleme. Der Preis für diesen Gewinn war sehr hoch.
Überdies musste die Einstellung gegenüber den Deutschen buchstäblich innerhalb weniger Tage geändert werden. Noch am 2. Oktober 1939 veröffentlicht die Brīvā Zeme (im Folgenden: BZ) eine Rede des Bildungsministers Auškāps anlässlich von Lehrerkursen, in der der Minister die Treue des Staates gegenüber allen Minderheiten deklariert: „Wir erachten jeden loyalen Bürger, welcher Volkszugehörigkeit er auch sein möge, der Lettland als seinen Staat und sein Vaterland ansieht, als ebenso vollberechtigten Bürger wie einen Letten.“ (BZ, 02.10.1939)
Bereits 28 Tage später wurde eine völlig andere Haltung gegenüber einer Volkszugehörigkeit definiert, und diese Sichtweise äußerte Justizminister Hermanis Apsīts: „Die deutsche Volksgruppe verlässt auf alle Zeiten das lettische Land und die Gemeinschaft des Staates Lettland.“ (BZ, 30.10.1939)
Jānis Urbanovičs: Ich würde die Repatriierung der Baltendeutschen nicht nur als wirtschaftliche oder ethnische Frage betrachten. Meines Erachtens war gerade die Ausreise der Baltendeutschen für die lettische Gesellschaft die erste Lektion in totaler Intoleranz. Die Regierung Ulmanis hatte einen Mechanismus erarbeitet, der es der Gesellschaft gestattete, sich eine tolerante Einstellung gegenüber der Liquidierung einer bis dahin für die Gesellschaft sehr wichtigen und bedeutenden Gruppe von Mitbürgern zuzulegen. Die Regierung sagt, dass diese Gruppe nun in unserem Staat überflüssig ist, und wir verbannen diese Menschen auf alle Zeiten, und einen Rückweg wird es für sie niemals geben.
Durch die Ausreise der Baltendeutschen erlitt der Staat einen großen Verlust, daher wurden Bedingungen geschaffen, damit sie so wenig wie möglich von der Umsiedlung profitieren würden. Sie mussten ihre Unternehmen zurücklassen, aber die Entschädigung für diese Unternehmen deckte deren Wert nicht. Und auch der Wert der Unternehmen oder des Besitzes, die sie in dem Moment zu verkaufen versuchten, als 50 000 Menschen ausreisten, war nicht hoch. Faktisch mussten sie ihren Wohlstand für nichts hergeben.
Beinahe am gleichen Tag, als klar wurde, dass die Umsiedlung beginnen würde, wurden Beschlüsse gefasst, mit denen der Verkauf von Wertsachen untersagt wurde. Folglich war es den Deutschen verboten, ihr Erspartes in ausfuhrfähige Werte, beispielsweise Gold, umzuwandeln. Jeder Juwelier, der auf irgendeine Weise versuchte, den Deutschen zu helfen, wurde unbarmherzig bestraft.
Juris Paiders: Die Gesellschaft verhielt sich nicht nur tolerant gegenüber der Liquidierung einer Gruppe von Mitbürgern, sondern zog auch gewissen Nutzen aus dem Prozess der Liquidierung dieser Gruppe. Im Oktober 1939 wurden an der Universität Lettlands mehr als zehn ordentliche Dozenten zu außerplanmäßigen Professoren ernannt, um die Stellen der ausgereisten Lehrkräfte deutscher Nationalität zu besetzen. (BZ, 12.10.1939) Ein Karrieresprung, der ansonsten lange Jahre benötigt hätte, fand innerhalb einer Woche statt. Viele ersehnte Posten wurden frei. In Riga arbeiteten in den Ämtern der Selbstverwaltung und des Staates 261 Deutsche, in Bildungseinrichtungen 775, in medizinischen Einrichtungen 456 und in Apotheken 230. (BZ, 12.10.1939) In der Industrie waren 7 675 und im Handel 4 987 Bürger deutscher Volkszugehörigkeit beschäftigt. Auch viele Pfarrer, die lange Jahre die lettischen Landgemeinden geleitet hatten, verließen Lettland. An ihre Stelle traten die jungen lettischen Geistlichen, die gerade erst die Universität abgeschlossen hatten. (Jaunākās Ziņas, im Folgenden: JZ, 10.10.1939)
In der Presse wurde Listen mit der Aufzählung der Gegenstände veröffentlicht, die Deutsche aus Lettland ausführen durften. Dies wurde festgelegt durch in Artikel 7 im Zusatzprotokoll zum Vertrag über die Umsiedlung der lettischen Bürger deutscher Nationalität nach Deutschland. (Valdibas Vēstnesis, im Folgenden: VV, 30.10.1939).
„Von der Mitnahme und Ausfuhr sind ausgeschlossen:
- Lettlands Geld, soweit es 50 Lat für jeden deklarationsfähigen Auswanderer übersteigt;
- ausländische Valuten, Devisen und sonstige Zahlungsmittel sowie Edelmetalle;
- Wertpapiere, soweit sie nicht von deutschen Stellen ausgegeben sind, wobei der Begriff Wertpapiere nach dem Recht Lettlands zu beurteilen ist;
- für militärische Zwecke bestimmte Waffen aller Art, deren Zubehör, Munition, Teleskope und Prismenfernrohre;
- motorisierte Verkehrsmittel und deren Zubehör;
Anmerkung: Die Ausfuhr gebrauchter Motorräder ist gestattet.
Für die Mitnahme von Personenkraftwagen bedarf es einer besonderen Erlaubnis des Finanzministeriums.
- landwirtschaftliche, industrielle und handwerkliche Maschinen, außer den nicht eingebauten handwerklichen Maschinen, die von Handwerkern mitgenommen werden können;
- bewegliches Gut, das ausgesprochen Wareneigenschaft hat;
- Rassekühe und Zuchtpferde, die in Herd- und Zuchtbüchern verzeichnet sind, soweit keine besondere Erlaubnis des Landwirtschaftsministeriums vorliegt;
- Viehfutter, soweit es den Bedarf für den Transport übersteigt;
- über den Umfang von Umzugsgut hinausgehende Möbel und Hausrat;
- Sachen, die aus Edelmetall und Edelsteinen hergestellt sind, soweit sie bis zum 6. Oktober 1939 nicht im Besitz der Umsiedler gewesen sind;
- Krankenhauseinrichtungen und ärztliche Kabinette außer demjenigen Zubehör von ärztlichen Kabinetten, welches zur ambulaten-ärztlichen Hilfeleistung notwendig ist;
- innerhalb der letzten fünf Jahre angeschaffte Röntgen- und Diathermieapparate und optische Einrichtungen;
- Apotheken-Laboratorien, Einrichtungen und Apparate der chemisch-pharmazeutischen Unternehmen und Heilmittel, wobei die Anzahl der Medikamente, die zur Mitnahme auf den Schiffen bei der Ausreise notwendig sind, von der lettischen Pharmazieverwaltung bestimmt wird;
- folgende Kulturgüter:
a) auf dem Territorium des heutigen Lettlands gefundene archäologische Altertümer, |
b) Archivalien, welche zum Bestande staatlicher oder kommunaler Archivbehörden gehören oder gehört haben, |
c) Archivalien, die das wirtschaftliche und rechtliche Leben einer örtlichen oder kirchlichen Gemeinde, einer Stadt oder eines anderen Teiles des gegenwärtigen Gebietes Lettlands oder einer personellen Selbstver-waltung oder eines Standes kennzeichnen […].“ |
Wer das Gesetz übertrat, den erwartete die Konfiszierung der Werte und eine Strafe: „Im Hafen von Windau liegen schon mehrere Tage zwei deutsche Dampfer zum Abtransport der Umsiedler bereit. Auf einem von ihnen, der „Dalbeck“, hatte man versucht, heimlich Silber- und Kristallwertsachen zu befördern. Die Windauer Zollbeamten hatten sie zurückgehalten und herausgefunden, dass die Wertgegenstände einem Windauer Händler deutscher Nationalität namens Karl Schreiber gehörten. Die Wertsachen wurden konfisziert und der Windauer Zollamtsvorsteher belegte Karl Schreiber mit einer Geldstrafe von 620 Lats bzw. drei Monaten und drei Wochen Haft.“ (BZ, 21.10.1939)
Des Weiteren deklarierte die Regierung, dass man im Zuge der Liquidierung dieser Gruppe alle Erinnerungen an die Epoche, in der diese Gruppe etwas für die Gesellschaft Lettlands bedeutet hatte, auslöschen müsse.
Die Letten sollten auch auf alles Deutsche verzichten, unter anderem auch auf die deutschen Familiennamen. Die Regierung regte den Verzicht auf das Deutsche an: „Die Lettisierung der Familiennamen ist einfach zu bewerkstelligen, denn es erfordert keine besonderen Mittel, einzig ausgenommen die zwei Lats für die Anzeige im ,Regierungsboten‘.“ (BZ, 03.01.1940)
Bis März 1940 wählten bereits 3 000 Familien lettische Nachnamen (JZ, 16.03.1940). Die Regierung musste ein Vorbild sein, und sogar der Innenminister lettisierte seinen Familiennamen: „Der Innenminister K. Veitmanis hat das Formular für die Änderung des Familiennamens ausgefüllt, da er seinen bisherigen Familiennamen Veitmanis – Veidemanis (nach alten Gemeinderegistern Veidmanis) zu lettisieren wünscht und sich den Familiennamen Veidnieks ausersehen hat.“ (BZ, 16.01.1940)
Über das, was erlaubt und verboten war, kann man sich anhand derselben Zeitungsartikel ein präzises Bild machen. Im Jahre 1939 nahm die Polizei ein Ermittlungsverfahren auf, als herauskam, dass in Libau ein Gottesdienst in deutscher Sprache abgehalten worden war!!! Die Pfarrer mussten sich schriftlich verpflichten, keine Gottesdienste in deutscher Sprache zu halten usw. (BZ, 30.12.1939)
Gottesdienste in deutscher Sprache wurden verboten, und es wurde empfohlen, auf alles Deutsche zu verzichten und die Familiennamen zu ändern. Zudem müsse man das Deutsche aus den Ortsnamen löschen. Der Winter 1939 und 1940 war die Zeit, in der die Namen von Gütern innerhalb der lettischen Ortsnamen ausgemerzt wurden. Dies geschah nicht erst in der Sowjetzeit! Dies geschah nicht, weil die Bolschewisten kamen und Güter verboten, die die dem Proletariat so verhassten Gutsbesitzer reklamierten. Nein, es waren die Dekrete von Ulmanis, die dafür sorgten, dass unter den Ortsnamen, wo immer möglich, alles Deutsche ausgelöscht wurde.
Meines Erachtens bereiteten die Vorgänge um die Umsiedlung der Baltendeutschen die Gesellschaft darauf vor, wenig später ausnahmslos friedlich den Holocaust zu akzeptieren.
Jānis Urbanovičs: Nicht nur den Holocaust. Es war ein äußerst wirksamer „Impfstoff“, um die Gesellschaft vorzubereiten, als der Befehl zur Vernichtung einer solchen Klasse wie die Fabrikanten im Jahre 1941 oder die wohlhabende Bauernschaft im Jahre 1949 gegeben wurde. Im Prinzip bereitete Ulmanis die Gesellschaft darauf vor, es als normal zu akzeptieren, dass eine Klasse liquidiert wird und dass daraus diejenigen, die an diesem Prozess teilnehmen, einen gewissen Nutzen ziehen und daraus Kapital schlagen können.
Die Baltendeutschen wurden nur vom „Vaterland“ heimgerufen. Lettland verstieß sie, aber Deutschland rief sie zu sich heim. Das ist ein gewaltiger Unterschied, verglichen mit den weiteren Ereignissen – sowohl der Liquidierung der Klassen in der Zeit der Sowjetmacht, als auch der Judenvernichtung während der deutschen Okkupation. Da wurden die Menschen einfach aus der Gesellschaft verstoßen, und so gut wie niemand gab ihnen eine sichere Zuflucht. Der Unterschied ist gewaltig, aber das war der erste „Impfstoff“, der dazu beitrug, dass man in der Gesellschaft, wenn schon nicht zustimmend, so doch schweigend den Holocaust billigte.
Wenn die Macht auf jemanden zeigen wird – wir brauchen sie nicht, wir müssen uns von ihnen befreien –, dann wird ein großer Teil verstehen, dass jetzt die Möglichkeit, der Augenblick da ist, um sich ähnlich wie mit den Baltendeutschen zu verhalten. Wenn man die Machtpolitik unterstützt, ist es möglich, für sich daraus privaten Nutzen zu ziehen, und das wird für mich etwas Gutes mit angenehmen Folgen bewirken.
Juris Paiders. Meines Erachtens bereitete gerade die Umsiedlung der Baltendeutschen den Staat in großem Maße auf eine solche ernsthafte Duldsamkeit gegenüber Repressionen vor, gleichgültig, ob sie von der UdSSR oder Deutschland ausgingen.
Jānis Urbanovičs: Das alles ist nur in dem Moment möglich, in dem die Macht die allgemeine Autorität genießt. Die Macht ist nämlich sowohl Richter als auch Schlichter. Und, wenn es die Macht erlaubt, musst Du nicht moralisch sein. Dir ist von der Macht gesagt worden, dass Du die Nachbarswohnung nehmen, in die Wohnung des Baltendeutschen einziehen, seine Hab und Gut nehmen darfst u.ä. Und Du bist nicht verantwortlich dafür. Verantwortlich ist die Macht, die dafür geradesteht. Das war das Wichtigste. Folglich bist Du nicht verantwortlich, bist Du kein Verbrecher. Das war sehr bequem für die Niedertracht, die kam – mit den Baltendeutschen, danach mit den Juden, danach mit der Deportation der wohlhabenden Bauern in der Sowjetzeit, als Nachbarn ihren Nachbarn anzeigten.
Dies war die erste Schule, in der die Gesellschaft auf die kollektive Intoleranz vorbereitet wurde. Wenn gesagt wird, liquidiert diese Klasse, dann müsst ihr überhaupt nicht mehr über Verantwortung nachdenken. Während der Repatriierung der Baltendeutschen wurde die lettische Gesellschaft auf eine weitere, möglicherweise sogar kriminelle Handlungsweise vorbereitet in dem Fall, dass die deutschen oder andere Machthaber definieren, dass irgendeine Gruppe von Menschen überflüssig ist.
Juris Paiders: Meines Erachtens verbietet es uns das Verschweigen der baltendeutschen Frage, danach ehrlich auf die Frage zu antworten, wie groß die Schuld und Beteiligung der Letten an den Gräueltaten der Faschisten gegen die Juden ist. Die Erinnerung an die baltendeutsche Frage ist sehr wichtig, damit wir uns selbst läutern können. Die traditionelle Antwort zum Holocaust auf dem Territorium Lettlands ist die, dass dafür nur die Faschisten verantwortlich sind. Die Letten sind immer tolerant gegenüber den einheimischen nationalen Minderheiten gewesen, die gesamte Verantwortung für die Verbrechen muss einzig und allein bei Hitlerdeutschland liegen. Wenn wir zur Kenntnis nehmen, wie die Repatriierung der Baltendeutschen von statten ging, wie die Propagandamaschinerie gearbeitet hat, dass versucht wurde, alle Erinnerungen an diese Minderheit nach ihrer Ausreise auszulöschen, dann ist die Antwort nicht eindeutig. Gerade im Oktober und November 1939 begann sich die lettische Gesellschaft auf die Intoleranz gegenüber anderen vorzubereiten. Meines Erachtens wäre es gut möglich, dass die Einstellung der Gesellschaft im Falle des Holocausts eine andere gewesen wäre, hätte es das Jahr 1939 und die Ausreise der Baltendeutschen nicht gegeben.
Jānis Urbanovičs: Möglicherweise wäre die Einstellung nicht so allumfassend gewesen. Vielleicht hätte es episodische Äußerungen gegeben. Meiner Meinung nach ist hier der Anfang für die große gesellschaftliche Beteiligung an den Deportationen der Sowjetzeit zu suchen. Im Zuge der Deportationen gab es viele Fälle, in denen einer den andere anzeigte, um an Besitz zu gelangen. Die Ermutigung der Niedertracht kam in dem Moment unter unser Volk, als die lettische Gesellschaft eine Minderheit aus ihrer Mitte verstieß und aus ihrer Geschichte einen großen, sehr wertvollen Teil ihrer Vergangenheit auslöschte.
Aus dem Lettischen übersetzt von Sabine Jordan, Münster
Text 3:
Die auf ewig verlorene Heimat.Die Zwangsumsiedlung der Deutschbalten aus Lettland 1939‒1941
Ende des vergangenen Jahres wurde in der ungarischen Stadt Szombathely unser Buch über die Umsiedlung der Deutschbalten aus Lettland, die dem Ruf Adolf Hitlers folgten, veröffentlicht. ‒ Wir, das sind die Übersetzerin Silvija Ģibiete, Mitglied des Schriftstellerverbandes Lettlands, und Lāsma Ģibiete, Lektorin an der Westungarischen Universität. – Die Forschungsarbeit wurde in ungarischer Sprache herausgegeben, ihr Titel lautet Az örökre elveszett hazáért. Az 1939-es év Lettországban és Liepājában (Die auf ewig verlorene Heimat. Das Jahr 1939 in Lettland und Libau). Einige Ausschnitte aus dieser Arbeit bieten wir den Lesern der australischen Zeitschrift Latvietis an.
Historische Aspekte der Umsiedlung der Deutschbalten
Es ist eine alte Weisheit überliefert: Die Zeit vergeht schnell. Es sind schon mehr als 70 Jahre seit der Umsiedlung der Deutschen aus den Staaten des Baltikums vergangen, und wiederum mehr als 700 Jahre seit ihrem Eintreffen auf dem Territorium Lettlands (von 1939 aus gerechnet). Während all dieser langen Jahrhunderte waren, ungeachtet der wechselnden Okkupationsmächte Schweden, Polen, Russen, in Wahrheit die deutschen Barone die maßgeblichen Personen auf dem Territorium Lettlands. Im Jahre 1918 erlangte Lettland schließlich seine Unabhängigkeit. Der Traum eines jeden Letten, in einem freien Staat zu leben, war endlich wahr geworden. 1920 wurden die deutschen Barone enteignet und behielten nur 50 Hektar Land, und vier Jahre später wurde ihre Forderung nach Entschädigung für ihr Eigentum zurückgewiesen. Ebenso wie die Gutshöfe wurden den Deutschen auch die Kirchen enteignet.
Ihnen ‒ wie auch den anderen nationalen Minderheiten ‒ blieben nur die Schulen, doch wurde sehr bald in allen Lehranstalten in Lettland (ausnahmslos) Englisch als erste Fremdsprache eingeführt. Seit 1934 ist in der Aktenführung der staatlichen Einrichtungen einzig die lettische Sprache zugelassen. Auch alle Leitungsfunktionen konnten in jener Zeit nur von Letten bekleidet werden. Diese Gegebenheiten erregten natürlich Empörung unter den Deutschbalten. Zudem tobte in den 30er Jahren in der ganzen Welt die Große Depression, die Millionen Menschen in die Verzweiflung und den Selbstmord führte. Für die neu entstandene deutsche Nation hingegen war der Friedensvertrag von Versailles aus dem Jahre 1920 eine unsägliche Schande. So stellte sich die politische und wirtschaftliche Situation in der Zeit dar, bevor der Nichtangriffspakt von Hitler und Stalin mit seinen Zusatzprotokollen geschlossen wurde.
Nach dem Ersten Weltkrieg herrschte in Europa 20 Jahre lang Frieden. Das war eine Zeit, die man benötigte und verständig nutzen musste, und gerade da geriet die politische Macht in Deutschland in die falschen Hände. 1930 wurde die Weimarer Republik zerstört, und ab 1933 war Adolf Hitler der einzige Herrscher im Staat. Gleichzeitig begannen der Terror und die Vorbereitung auf einen neuen Krieg.
Eine völlig andere Situation herrschte in jener Zeit in Lettland, obwohl auch hier das Parlament entlassen worden war und die ganze Macht in den Händen des Präsidenten Kārlis Ulmanis lag. Jedoch wurde Lettland gerade in diesen 20 Jahren zu einem prosperierenden Staat mit einer hoch entwickelten Landwirtschaft und einer fortschrittlichen Industrie. Auf dieser Basis entwickelte sich auch die Kultur. Die Situation in den Nachbarstaaten, Deutschland und Russland, hingegen wurde immer bedrohlicher. In Sowjetrussland hatte 1924 Stalin die Macht ergriffen. Die Repressionen, die unter Lenin ihren Anfang hatten, nahmen in der Stalinzeit immer größere Maßstäbe an. Millionen Menschen wurden getötet oder zu Zwangsarbeit deportiert. Dies war die blutigste Seite in der Geschichte der Menschheit.
Etwas Ähnliches begann wenig später auch in Deutschland, obwohl man das Ausmaß der Repressionen in diesem Staat nicht mit dem, was in Sowjetrussland geschah, vergleichen kann. Zwei destruktive Herrscher, Hitler und Stalin, die scheinbar Lichtjahre trennten, standen an der Spitze zweier Großmächte. Zwei Massenmörder, die zwei verschiedene Ideologien vertraten. Doch trifft das wirklich zu? Wahrscheinlich trotz allem nicht, denn beide hatten gemeinsame Pläne, deren Verwirklichung nur eine Frage der Zeit war. Das belegt der Nichtangriffspakt, der am 23. August 1939 zwischen beiden Staaten geschlossen wurde und den man gewöhnlich Molotow-Ribbentrop-Pakt nennt. Das zeigt sich auch in der Großen Hitlerrede vom 7. Oktober 1939. Hitler hebt hervor, dass der Abschluss des deutsch-russischen Nichtangriffspaktes eine Wende in der gesamten deutschen Außenpolitik bedeutet.[1]
Der Nichtangriffspakt hatte geheime Zusatzprotokolle; eines davon war Hitlers Aufforderung zur Umsiedlung an die Deutschbalten, da sie in der Heimat erwartet würden. Heimat? Die Heimat der Deutschbalten war schon seit Jahrhunderten das Territorium Lettlands, Estlands und Litauens. Außerdem bezog sich diese Aufforderung direkt auf zehntausende von Menschen. Für beide Herrscher hatte das, was so viele Menschen fühlten und dachten, überhaupt gar keine Bedeutung; andererseits rettete die Umsiedlung den Deutschbalten das Leben. Wie sich später herausstellte, hätten sie, wären sie im russisch besetzten Lettland geblieben, nicht überlebt. In diesem Fall hätten die Deutschbalten das bedauernswerte Schicksal vieler Letten, Esten und Litauer teilen müssen.
Trotzdem stellte auch die Umsiedlung für viele Deutschbalten eine Tragödie dar, weil sie nun kein Zuhause mehr hatten. Diese Menschen fühlten sich in Deutschland und in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten fremd und verlassen unter Landsleuten, von denen sie nicht akzeptiert wurden. Dessen ungeachtet verlief alles wie es von Hitler und Stalin geplant worden war. Über die Umsiedlung der Deutschbalten aus Estland hat Bernd Nielsen-Stokkeby geschrieben, über die aus Lettland Brigitte Zimmer.
Beide Großmächte, Deutschland und Sowjetrussland, hatten sich zielstrebig auf den Krieg vorbereitet, der am 1. September 1939 mit dem Überfall des deutschen Heeres auf Polen begann. Wenig später wurde der Überfall auf Polen gemeinsam mit dem Verbündeten, Sowjetrussland, gefeiert. Es fiel am 17. September desselben Jahres in Polen ein. Doch stand vor diesen blutigen Ereignissen noch etwas, das nicht weniger wesentlich war.
Der Molotow-Ribbentrop-Pakt sah auch andere Maßnahmen vor, und eine davon war die Heimkehr der Deutschbalten ins Reich. Hitler und Stalin hatten Europa aufgeteilt, selbstverständlich ohne Zustimmung der betroffenen Völker. Auf der Grundlage dieser Vereinbarung gehörte das gesamte Baltikum zu Sowjetrussland. Joachim von Ribbentrop schloss am 28. September 1939 in Moskau nicht nur den deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag ab, sondern unterzeichnete auch das zweite geheime Zusatzprotokoll, mit dem das Schicksal Litauens beschlossen wurde, und das dritte geheime Zusatzprotokoll, das sich auf alle im Baltikum lebenden Deutschen bezog.
Die Beziehungen zwischen den Deutschbalten und den Letten wurden immer gespannter. Allen Deutschen wurde empfohlen, Lettland zu verlassen. Die Deutschbalten, ihre Freunde und Verwandten waren komplett verstört. Im Herbst 1939 gab es im Baltikum insgesamt ca. 80 000 Deutschbalten, von denen 60 000 in Lettland lebten. Einerseits wollten sie nicht ausreisen, doch andererseits wussten diese Menschen sehr genau, dass die Russen bald in Lettland Einzug halten würden. Das war nicht nur Einbildung, denn in jenen Tagen waren in Lettland schon die ersten Einheiten der Roten Armee einmarschiert.
Wie verhielten sich die Letten gegenüber der Umsiedlung der Deutschbalten? Auf jeden Fall positiv. Sehr viele fühlten sich erleichtert und erfreut. Man könnte fragen, warum? Den Letten älteren Jahrgangs war das Unrecht seitens der baltischen Barone noch sehr gut in Erinnerung, und den jüngeren Letten wiederum gefiel der Hochmut der Deutschen nicht, mit dem diese im alltäglichen Leben auftraten. Die Letten dachten nicht in solchen Kategorien wie Kunst und Kultur, die auf dem Territorium Lettlands zusammen mit den Deutschen Einzug gehalten hatten. Die Letten hatten die gemeinsame Geschichte vergessen und die Tatsache, dass beide Völker nach 700 Jahren Anwesenheit der Deutschen in unserem Land vieles gemeinsam hatten, in erster Linie die Mentalität. Daran erinnerte man sich erst später, als bereits die Russen im Baltikum waren. Das Asiatische war den drei Völkern des Baltikums völlig fremd, und so ist es noch heute.
Über die Russen wusste damals niemand allzu viel, da in Lettland, ebenso wie in den anderen beiden Staaten des Baltikums, bis dahin nur sehr wenige Russen lebten, und diese wenigen die Lebensart der einheimischen Bevölkerung respektierten. Der Inhalt des von Stalin und Hitler geschlossenen deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftspaktes unterlag in der späteren Sowjetunion strengster Geheimhaltung. Sogar noch zu Beginn der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts versuchte Russland, den Vertrag und seine Zusatzprotokolle geheim zu halten. So etwas gibt es nicht. Niemand hat irgendeinen Vertrag gesehen. Gewöhnliche russische Lügen.
Brigitte Zimmer schreibt: „Die Umsiedlung begann im Oktober 1939. Große Passagierdampfer kamen die Düna herauf, um die Deutschbalten ‚heim ins Reich‘ zu befördern. Das war ein sehr irreführender und diplomatischer Schachzug Hitlers. Er brauchte Soldaten, Menschenmaterial für seine Pläne. Die baltischen Männer, die der russischen Sprache mächtig waren, konnte er später, als der Krieg gegen Russland begann, sehr gut für den Einsatz an der Ostfront brauchen.“[2]
Niemand kann den Weitblick der beiden Führer leugnen, denn beide waren gleich listig, beide hatten über alles nachgedacht, nur nicht über die Menschen. Die Menschen bedeuteten ihnen nichts, die Hauptsache war die Strategie des kommenden Krieges. Brigitte Zimmer erinnert sich: „Als wir dann, die Düna abwärts fahrend, auf die offene See zusteuerten, empfanden wir Kinder zum ersten Mal den Abschiedsschmerz. Wann würden wir wieder zurückkehren ‒ so fragten wir uns. Ganz spontan fing jemand an zu singen: ,Dievs, svētī Latviju, mūs‘ dargo Tēviju ...‘ [Gott, segne Lettland, unser teures Vaterland ...; Die Anfangszeile der Staatshymne Lettlands; D. H.]“.[3]
Die Umsiedlung war ein Ereignis, das den Zeitraum von 1939 bis 1941 umfasste. Das letzte Schiff mit Umsiedlern verließ Riga am 25. März 1941. Die Umsiedlung der Deutschen fand nicht nur im Baltikum, sondern in allen Staaten Ost- und Südeuropas statt. Daher betraf diese Umsiedlung 700 000 Menschen. Die Deutschbalten Lettlands verließen das Land von den Häfen Riga, Libau und Windau aus auf dem Seeweg. Der Vertrag über die Umsiedlung von Staatsangehörigen Lettlands deutscher Volkszugehörigkeit wurde am 30. Oktober 1939 unterzeichnet. Die Letten, einschließlich Staatspräsident Kārlis Ulmanis, waren über diese Aktion sehr erfreut. Der Präsident hatte ihnen sogar gewünscht: „Auf Nimmerwiedersehen!“ Dies sind Worte, die die damalige Stimmung in Lettland reflektieren. Dass Ulmanis in diesem Fall sehr kurzsichtig gewesen war, zeigten die sehr bald darauf folgenden Ereignisse: Er selbst wurde Opfer der Russen, ebenso wie viele, viele Letten. Nach dem Krieg wurde Lettland von der sowjetischen Armee besetzt, diese Okkupation dauerte 50 Jahre lang, und ihre Folgen sind noch heute spürbar. Die Letten waren Assimilation und Vernichtung ausgesetzt.
Die Umsiedlung der Deutschbalten in Literatur und Filmkunst
Die ersten Versuche, dieses Thema in der Literatur zu verarbeiten, sind in Werken russischer Sowjetautoren zu suchen. Eines von diesen Beispielen ist der Roman Schild und Schwert von Vadim Koževnikov, der 1967 in lettischer Sprache erschien. Selbstverständlich ist auch dieses Buch, wie so viele Bücher in jener Zeit, ein Propagandawerk. Die Ereignisse wurden aus der Perspektive des sozialistischen Realismus geschildert oder ‒ besser gesagt ‒ verzerrt. Helden und Geschehnisse werden schwarz-weiß gezeichnet, mit anderen Worten: Die guten Russen werden den schlechten Deutschen gegenübergestellt.
Bezüglich der lettischen Literatur muss daran erinnert werden, dass sie zu Beginn der sowjetischen Okkupation gewaltsam in zwei Teile aufgespalten wurde: die Literatur in Sowjetlettland, die strenger Zensur unterworfen war, und die Exilliteratur. Zugegebenermaßen ist letztere immer noch sehr vielen lettischen Lesern fremd.
Die lettischen Autoren begannen sich erst mehrere Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs diesem Thema zuzuwenden. Sehr eingehend wird die Tragödie der Deutschbalten in dem 2007 veröffentlichten Roman Bandenkind des Dichters und Schriftstellers Modris Zihmanis geschildert. Dies ist der erste Versuch, die Umsiedlung der Deutschbalten offen und ohne zu politisieren zu schildern. In diesem Werk wird die persönliche Tragödie zweier junger Menschen in dem Zeitraum kurz vor dem Krieg dargestellt. Im Unterschied zu der in der Sowjetzeit erschienenen Literatur schildert Zihmanis wirklich historische Ereignisse, wobei er das Augenmerk besonders auf die Umsiedlung der Deutschbalten legt. Der Autor hat diese Zeit selbst erlebt, und das hat ihn auch dazu bewegt, die erwähnte Seite der Geschichte aufzuschlagen. Die Hauptfiguren des Buches sind die Lettin Agnese Kalupe und der Deutschbalte Kurts Kroiters. In dem Roman wird das alltägliche Leben der baltischen Deutschen beschrieben. Kurz nach der Heirat von Agnese und Kurts wird die politische Situation in Lettland immer angespannter. Agnese trifft die Nachricht, dass der Vertrag über die Heimkehr der Deutschbalten ins Reich abgeschlossen wurde, wie ein betäubender Schlag. Die baltischen Deutschen wissen nicht, was zu erwarten ist, sie sind verwirrt und verängstigt. Kurts‘ Schicksal endet tragisch – er kommt während des Krieges um.
Ein totaler Umbruch in der lettischen Filmkunst fand in der Zeit von 1979 bis 1981 statt, als die Arbeit an dem Szenario für den Film Der lange Weg in den Dünen (Regisseur: Aloizs Brenčs) stattfand. Er war eine Sensation, und dies hauptsächlich, weil zum ersten Mal während der sowjetischen Besetzung in einem Kunstfilm des Rigaer Kinostudios die wahre Geschichte gezeigt wurde. Natürlich nur teilweise. In diesem Werk wurden mehrere bis dahin verbotene Themen berührt, die zuvor entweder komplett verschwiegen oder in absolut verzerrter Weise dargestellt worden waren. Zwei dieser Themen waren das Schicksal der Deutschbalten kurz vor dem und während des Zweiten Weltkriegs und die Deportation der Letten nach Sibirien. Die Grundlage des Filmes bilden die tragischen Schicksale zweier Familien, der Ozols‘ und der Losbergs‘. Der Regisseur und die Hauptdarsteller wurden mit dem Staatspreis ausgezeichnet, ausgenommen der litauische Schauspieler Romualdas Ramanauskas, der in dem Film den deutschbaltischen Fabrikantensohn darstellte. Das Ungewöhnlichste daran ist der Widersprüchlichkeit: auf der einen Seite die Darstellung eines bis dahin verbotenen Themas, auf der anderen die höchste Auszeichnung des Staates.
Die Zeit vergeht schnell. Kinder, die damals mit ihren Eltern nach Deutschland umsiedelten, sind heute bereits Greise. Vor mehr als 20 Jahren, als in Lettland noch die Sowjetarmee stationiert war, besuchten die ersten Gäste aus dem Westen die Staaten des Baltikums. Es waren die 1939 ausgereisten Deutschbalten und ihre Nachkommen. Grund für den Besuch war das Interesse zu schauen, wie ihre Heimat nun aussah. Das, was diese Menschen zu Gesicht bekamen, war bejammernswert. Der florierende Staat, der Lettland bei ihrer Ausreise gewesen war, hatte sich jetzt bis zur Unkenntlichkeit verändert. […]
Aus dem Lettischen übersetzt von Sabine Jordan, Münster